Weniger Theorie, mehr Praxis

Dr. Bernd Hochberger

Dr. Bernd Hochberger, Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse München
Seine Karriere beginnt 1991 mit einer Lehre zum Bankkaufmann bei der Raiffeisen-Volksbank Augsburg eG mit anschließendem Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Augsburg.
Nach seinem Abschluss arbeitet er fünf Jahre als Projekt-Manager, um 2004 in der Stadtsparkasse München als Leiter des Unternehmensbereiches Strategische Planung einzusteigen. 2010 wurde er zum stellvertretenden Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse München ernannt. Seit 2012 ist er Vorstandsmitglied mit den Zuständigkeiten Kreditmanagement, Prozesse und IT, Gesamtbanksteuerung, Revision, Immobilien- und Facilitymanagement sowie Compliance.

Was haben Sie vor diesem Gespräch gemacht?
Ich war in einer Videokonferenz mit einer kleinen Gruppe von Mitarbeitenden unseres Hauses, in der es um die Digitalisierungsstrategie im nächsten Jahr ging.

Ist Digitalisierung das primäre Thema, über das Sie nachdenken, wenn es um die Zukunft der Sparkasse geht?
Es ist eins der Themen, über die ich nachdenke. Mich beschäftigt in meiner Funktion eine ganze Vielzahl von Zukunftsthemen, sei es aus dem Aufsichtsrecht, aus dem Bereich des Risikomanagements, aus dem Bereich der Digitalisierung, aus dem Bereich der Nachhaltigkeit, aus dem Bereich des Personalwesens und der Mitarbeiterführung. Digitalisierung ist ein wichtiger Teil – aber nicht der einzige.

Und wenn Sie an diesen, in vielen Fällen großen, Themen arbeiten, die sicherlich auch großen Kraftaufwand bedeuten: Wie kommen Sie ins Machen, wenn Sie mal keine Lust haben?
Die Phase, keine Lust zu haben, die kenne ich so eigentlich nicht. Ich fühle mich sehr stark motiviert, immer etwas zu tun. Was für mich besonders motivierend ist, sind Erfolgserlebnisse und Ergebnisse, die man gemeinsam erzielt. Diese vor Augen zu haben, hilft mir, wieder die nächste Thematik anzugehen.

Was ist die nächste Thematik, die Sie in Ihrer Arbeit gerne angehen würden?
Das kann ich nicht an einem einzelnen Thema festmachen. Ich glaube, dass die Zeiten, in denen man sich im Sparkassen-Bereich nur auf ein Ding konzentrieren konnte, nicht mehr gegeben sind. Man muss mit vielen verschiedenen Themen gleichzeitig unterwegs sein. Auch auf die Gefahr hin, dass man dann das eine oder andere Mal scheitert und laufend neu priorisieren muss. Bezeichnend ist für mich die Vielzahl der Themen, die es zu orchestrieren gilt.

Und wie machen Sie das, das Orchestrieren?
Über meine Kolleginnen und Kollegen. Für alle Themen gibt es Personen bei uns im Haus, die diese vorantreiben. Und mit denen bin ich in Kontakt, immer wieder. Zusammen mit ihnen wird das Ganze vorbereitet, geplant und dann umgesetzt. Das funktioniert über Menschen. Das ist eigentlich das Zentrale: das Gestalten nicht über Technologie oder Prozesse oder Strukturen, sondern über Menschen.

Wie wecken Sie bei diesen Menschen Lust auf Zukunft?
Die Motivation von Mitarbeitenden ist ein elementares Thema, jeden Tag. Motivation erst einmal zu wecken und dann auch über einen längeren Weg aufrechtzuerhalten, spielt eine große Rolle. Ich habe vorhin die Digitalisierung angesprochen. Diese beschäftigt uns ja nicht erst seit gestern. Da ist es schon ganz elementar, diejenigen, die sich darum kümmern, immer wieder neu zu motivieren und zu begeistern. Digitalisierung ist kein Ziel, an dem man mal ankommt und dann ist das Thema abgeschlossen. Es geht immer weiter. Und auch hier entsteht Motivation über gemeinsame Erfolge. Diese muss man zeigen und sagen: »Schaut, wir haben gemeinsam etwas erreicht. Wenn wir das nächste Ding wieder anpacken und davon überzeugt sind, kann uns das wieder gelingen.«

Wo sehen Sie ganz besonders großen Handlungsbedarf, wenn es um Zukunft geht?
Den größten Handlungsbedarf sehe ich aktuell im Thema Nachhaltigkeit. Auch da geht es um alle Dimensionen. Es geht zum einen um die Kundendimension, das heißt: Wie können wir unsere Kunden in ihren Transformationsprozessen unterstützen? Mit welchen Produkten, welchen Dienstleistungen? Wie können wir unseren Privatkunden entsprechende Anlageformen bieten, die auf dieses Thema einzahlen? Und in der Perspektive auf die Sparkasse selbst: Wie können wir uns selbst zu noch mehr Nachhaltigkeit hin transformieren? Auch das ist ein Thema, das man nicht an einem einzigen Punkt festmachen kann. Es bildet einen Fächer an Einzelthemen, die bei der Weiterentwicklung helfen.

Welche Rolle schreiben Sie den Sparkassen in Zukunft zu?
Die Sparkassen sind ja von ihrem öffentlichen Auftrag geprägt. Das unterscheidet uns von allen anderen Kreditinstituten. Dass es die Sparkassen schon über 200 Jahre gibt, zeigt ihre Rolle als ein sehr wichtiges Element der Gesellschaft, das zur Stabilität beiträgt. Wir haben ein Geschäftsmodell, dem großes Vertrauen entgegengebracht wird. Sonst könnte es nicht so lange existieren. Das ist gleichzeitig auch der Ansporn für die Zukunft. Wenn es schon so lange funktioniert hat, soll es auch weiter funktionieren. Das Geschäftsmodell der Sparkassen-Organisation hat schon sehr viele Veränderungen, sehr viel Auf und Ab erlebt. Und die Sparkasse hat gezeigt, dass sie damit umgehen kann, sich immer wieder an neue Gegebenheiten anzupassen. Das ist eine große Stärke, die wir haben. Die gilt es weiter auszubauen, ohne den Kern, eben den öffentlichen Auftrag, zu vernachlässigen.

Wie trainiert man seine Anpassungsfähigkeit?
Als Erstes sollte man eine Veränderung nicht als Risiko, sondern als Chance sehen. Erst im zweiten Schritt sollte man überlegen, welche Risiken es auf dem Weg zu einer Veränderung gibt. Wenn man überall erst einmal nach Chancen sucht, dann findet man auch Wege, sich positiv weiterzuentwickeln. Das ist meiner Meinung nach das Entscheidende: sich nicht zuerst auf die Risiken zu konzentrieren und die Chancen außer Acht zu lassen, sondern die richtige Reihenfolge zu verfolgen.

Was passiert, wenn man trotz aller Chancenorientierung scheitert?
Scheitern ist eine wertvolle Erfahrung. Immer nur erfolgreich zu sein, funktioniert nicht. Man sieht es ja auch im Sport: Überall gibt es Rückschläge und aus denen muss man lernen. Das ist das Entscheidende. Ohne das Lernen aus diesen Rückschlägen kommt es zu immer mehr Rückschlägen.

Wann sind Sie mal gescheitert – und was haben Sie daraus gelernt?
Vor ein paar Jahren hatten wir die Idee, für die Sparkassen-Organisation etwas Ähnliches aufzubauen wie die Neobank N26. Ich war damals einer der Ideengeber und wir sind mit unserem Vorhaben kläglich gescheitert. Auch wenn das sicher ein tolles Produkt geworden wäre und wir das mit Sicherheit besser hingekriegt hätten als N26. Ich habe dabei aber gelernt, Scheitern auch zuzulassen und ein Projekt nicht ewig in die Länge zu ziehen. Ich habe gelernt, den Punkt zu identifizieren, an dem man sagt: »Es macht keinen Sinn mehr. Bis hierhin und nicht weiter«. Dann kann man sich wieder auf andere Dinge konzentrieren und die eigene Kraft dort reinstecken, wo die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs größer ist.

Gibt man dann nicht auf?
Ich würde sagen, dass man aufgibt, wenn es realistisch gesehen noch Hoffnung gäbe, also wenn es noch Mittel und Wege gäbe, etwas zum Erfolg zu führen. Wenn man aus rationalen Gründen jedoch sagen kann, es gibt andere Optionen, die besser sind, und es gibt andere Projekte, in die ich meine Energie lieber investiere, weil dort die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs größer ist, dann ist ein Ausstieg für mich nicht aufgeben.

Themenwechsel: 
Wie haben Sie sich als Kind Zukunft vorgestellt?
Ich habe mich als Kind sehr gern mit Science-Fiction beschäftigt. Damals fand ich die Idee faszinierend, dass wir uns zum Beispiel von einem Ort zum anderen beamen können oder dass wir mit einem Auto sprechen und dieses nicht mehr lenken müssen, während das Auto selbst fährt. Teile davon sind ja auch schon wahr geworden. Was in diesen Visionen aber aus heutiger Sicht gefehlt hat bzw. was heute wichtiger ist, sind ethische Fragestellungen, wie der Aspekt der Nachhaltigkeit.

Das sind Verschiebungen in der Relevanz von Themen. Gibt es auch Stimmen, denen wir heute mehr Beachtung schenken sollten, wenn es um Zukunft geht?
Ich denke, es sind Kinder und Jugendliche, denen man einfach mehr zuhören und die man in die Entwicklung von Zukunft mehr einbeziehen sollte. Bei Kindern ist inzwischen ein ganz anderes Bewusstsein da, ein anderes Beschäftigen mit Zukunft. Sie machen sich Gedanken über ihre Zukunft und sagen nicht: »Na ja, die Erde wird es noch ewig geben, gar kein Problem, machen wir einfach weiter so!« Deswegen glaube ich, dass Kinder und Jugendlicheeine Gruppe bilden, die wir in unsere Überlegungen stärker miteinbeziehen sollten.

Wie kann die Sparkassen-Organisation Zukunft machen?
Sie brauchen die richtigen Menschen. Jene, die Zukunft gestalten wollen und können. Alles andere ist aus meiner Sicht zweitrangig. Es kommt am Ende immer auf die handelnden Personen an und die müssen Sie motivieren. Als Führungskraft müssen Sie vorneweg gehen, Ideen und Impulse generieren – aber umgekehrt auch Impulse von denjenigen empfangen, die involviert sind. Ich halte wenig von Strukturen. Strukturen sind wichtig, aber ich glaube nicht an die Macht der einen Struktur. Ich kenne so viele Organisationen, die mit unterschiedlichsten Strukturen erfolgreich sind. Am Ende sind es immer die Menschen, die ein Unternehmen erfolgreich machen.

Es sind also die Menschen, die Zukunft machen. Was charakterisiert für Sie denn eine:n Zukunftsmacher:in?
Das liegt schon im Wort, das Sie formuliert haben. Zukunftsmacher liegt für mich eher im Tun statt nur im darüber Nachdenken. Also, ich will es mal so sagen: weniger Folien, mehr Umsetzen. Weniger Theorie, mehr Praxis. Wenn ich etwas nur in Gedanken habe und nur darüber rede, aber nichts mache, dann ist das alles nichts.

Zukunft machen

Chancen zulassen

Aus mathematischer Sicht bezeichnet Chance die Möglichkeit des Eintreffens eines günstigen Ereignisses mit einer mathematischen Wahrscheinlichkeit, die größer als Null, aber kleiner als Eins ist. Wie gerne würden wir die Zukunft doch mathematisch ausrechnen. Dummerweise – oder vielleicht auch zum Glück – lässt sich Zukunft nicht ausrechnen. Denn es gibt keine äußere Macht, die Chancen zuweist oder verwehrt. Es liegt an uns, den Menschen, den Entscheider:innen, den Entdecker:innen und den Neugierigen, Chancen zu gewähren.
Und zwar, indem wir in Chancen denken und die Möglichkeit des Gelingens zulassen – unabhängig von irgendwelchen Wahrscheinlichkeiten, die sowieso selten fix definiert sind. Denn die Wahrscheinlichkeit des Gelingens erhöht sich mit unserem Glauben ans Gelingen. Chancen gibt es also immer – wenn wir sie zulassen.