Jenseits der Komfortzone

Denise Schindler

Denise Schindler, Weltmeisterin und Paralympics-Radsportlerin
Denise Schindlers Lebensgeschichte zeigt, was möglich ist. Dank eines starken Teams, wunderbarer Eltern, hervorragenden Mediziner:innen, perfekten Medizintechniker: innen und ihrem unglaublichen Willen kann Schindler wieder auf ihren ›zwei‹ Beinen stehen. Mit Mut, Kampfgeist, Beharrlichkeit und viel Motivation hat sie es geschafft, Widerstände zu überwinden und mit ihrem Handicap zu leben. Der Erfolg gibt ihr Recht: Denise Schindler ist dreifache Weltmeisterin und mehrfache Paralympics-Medaillengewinnerin.

Was haben Sie vor diesem Gespräch gemacht?
Ich habe heute mein Training bei wunderschönen 2 °C draußen absolviert, war in einem Workshop, habe gerade meine Waschmaschine angestellt und mich auf unser Gespräch gefreut.

Woran arbeiten Sie gerade?
Ich arbeite gerade daran, Orthopädietechnikern die Möglichkeit zu geben, in Zukunft die Anpassung von Orthesen und Prothesen mit digitaler Technik zu realisieren. Ein superspannendes Projekt.
2016 bin ich bei meinen zweiten Paralympischen Spielen mit der ersten 3-D-gedruckten Prothese gestartet. Das war damals noch ein Pionierprojekt. Es gab für Orthopädietechniker noch keine eigene Software, sondern nur eine allgemeine 3-D-Software, die wir dann verwendet haben. Jetzt, sechs Jahre später, sind wir soweit, dass es mit der Mecuris Solutions Plattform, eine speziell für die Orthopädie-Techniker zugeschnittene Software auf dem Markt gibt. Sie ist speziell auf die Bedürfnisse abgestimmt und entwickelt sich beinahe täglich weiter. Es ist schön zu sehen, wie diese Vision tatsächlich Gestalt annimmt. Dabei habe ich nicht allein den Spitzensport im Blick, sondern möchte aufgrund meiner eigenen Erfahrungen vor allem Kinder und Jugendliche dazu ermutigen, ihr Anderssein zu akzeptieren und offen damit umzugehen.
Menschen mit Prothesen sollen die Möglichkeit bekommen, ihrer eigenen Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, vielleicht sogar ihre Hilfsmittel in ein Statement zu verwandeln. Sich nicht zu verstecken, sondern sich und seine Fähigkeiten ins
rechte Licht zu rücken. Es ist immer wieder spannend, dass ich solche Prozesse begleiten darf. Ich betrachte es als Privileg in meiner Arbeit als paralympische Sportlerin, dass ich dazu die Möglichkeit habe.

Sind sechs Jahre eine zu lange Wartezeit, wenn wir Innovationen gestalten?
Sechs Jahre bis zur Marktreife sind für Innovationen völlig normal. Wer Neues entwickelt, muss wie ein Sportler viel Ausdauer beweisen. Man muss einen langen Atem haben und den Willen, jeden Tag akribisch an etwas zu arbeiten, um besser zu werden. Dazu gehört eben Kontinuität. Ausschlaggebend ist eben, dass man dran bleibt, damit Dinge erfolgreich werden. Ein Bergauf und Bergab gehört zum Erfolg dazu. Man muss eine Vision haben. Das ist das Allerwichtigste. Dafür definiere ich ganz klar: Wo soll es hingehen, was ist mein Ziel?

Sind Visionen genug, um Zukunft zu machen?
Eine Vision ist ganz grundsätzlich erst einmal der Antrieb, der dann mit Meilensteinen hinterlegt werden sollte. Und dann ist gerade das Durchhalten das Entscheidende, weil es natürlich nicht von heute auf morgen getan ist. Da ist viel akribische Arbeit, Überzeugungsarbeit, aber auch Verbesserung gefragt. Ich bin von meinem Naturell her so, dass ich ein Big Picture mag, um motiviert zu bleiben. Ich muss immer wissen, warum ich etwas mache, so kann ich meine Motivation finden. Am Ende kommt es auf den inneren Antrieb und das Mindset an.

Was ist denn die Vision beziehungsweise das Big Picture, das Sie antreibt?
In meiner sportlichen Karriere war der Antrieb immer die Leidenschaft fürs Radfahren. Ich habe das Radfahren für mich entdeckt und es geliebt. Dadurch bin ich Leistungssportlerin geworden. Ich habe zuerst das geliebt, was ich getan habe. Mit der Attitude, mich einfach an Dinge zu wagen, obwohl jeder gesagt hat: »Das kannst du nicht«, oder: »Das funktioniert nicht«, habe ich immer Sachen gemacht, die außerhalb meiner Komfortzone lagen. Ich bin eine Transalp-Überquerung gefahren, ganz am Anfang meiner Radkarriere, mit dem Mountainbike; zwar geführt mit einem Guide, aber es war mit 20 Jahren und eineinhalb Beinen trotzdem ein ganz schönes Abenteuer. Ich wusste nicht: Geht es gut? Kriege ich das hin? Komme ich am Gardasee an – oder nicht? Die Komfortzone immer wieder zu verlassen, ist wichtig, um weiterzukommen. Diese Leidenschaft für das, was ich liebe, ist die Basis für Erfolge. Sie müssen brennen für das, was Sie machen. Wenn Sie nicht dafür brennen, werden Sie nicht Weltmeisterin!

Das Für-etwas-Brennen reicht also?
Wenn ich eine Chance bekomme oder diese selbst kreiere, weil ich immer wieder aus der Komfortzone rausgehe, dann ist es notwendig, wirklich hart zu arbeiten und auch mal alles auf eine Karte zu setzen. Ich habe am Anfang meinen Job und meine sportliche Karriere zusammen koordiniert. Damals habe ich vom Sport nicht leben können. Vor zwölf Jahren habe ich dann den Entschluss gefasst, mich komplett auf den Sport zu konzentrieren und mich auf die Paralympischen Spiele 2012 vorzubereiten. Ich habe es geschafft, mit 25 bin ich Weltmeisterin geworden, habe mein Ticket für meine ersten Paralympics in London in der Tasche gehabt und Silber gewonnen. So war der Anfang meiner Karriere.

Haben Sie sich selbst damit überrascht?
Es war mein Traum, eine Medaille zu gewinnen, dafür habe ich alles untergeordnet und hart dafür trainiert. Entscheidend ist, dein Leistungsvermögen an Tag X auch zu zeigen.

Es fällt selten leicht, die eigene Komfortzone zu verlassen. Welchen Tipp haben Sie, um sich doch dazu zu überwinden?
Sie sollten sich ganz klare Ziele setzen, idealerweise mit Zwischenzielen im Jahr. Diese Ziele können sportlicher oder beruflicher Natur sein. Das heißt, Sie stimmen diese mit Ihrem Vorgesetzten und Trainer gemeinsam ab. Da sollte man meiner Meinung nach klar und offen kommunizieren. Sie können sich auch einen Mentor für bestimmte Ziele suchen, der entweder im Beruf oder auf privater Seite steht, der Sie pusht und den Weg mit Ihnen zusammen geht. Das kann ich jedem nur empfehlen für die Momente, wenn es einem selbst schwerfällt, die Ziele zu erreichen. Ich hatte tolle Mentoren an meiner Seite, die mich motiviert und inspiriert haben und mir immer das Gefühl gegeben haben: »Du schaffst das!«

Welche Rolle spielt Training für die Gestaltung von Zukunft?  
Training ist die Grundlage für den Erfolg im Beruf und im Sport. Wenn Sie im Job starten, trainieren Sie die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die notwendig sind, um die Lehre oder eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Um im Beruf die Zukunft mitzugestalten, musst du ein Leben lang lernen, um Projekte erfolgreich zu beenden. Es braucht immer wieder Finetuning und Controlling. Das gleiche passiert im Sport. Wir haben Trainingspläne, die auf bestimmte sportliche Höhepunkte ausgerichtet sind. Als Athleten sind wir bestrebt, das Beste aus dem Material und uns selbst herauszuholen. Das ist notwendig, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Wir optimieren Trainingsmethoden, Methoden und Material ständig. Dazu ist ein gut funktionierendes Team aus Trainern, Physiotherapeuten, Ärzten, Mechanikern, Wissenschaftlern und Beratern notwendig.

Was ist Ihre Zukunftsvision?
Meine persönliche Vision von der Zukunft ist eine offene Gesellschaft, in der wir die Blickwinkel der anderen einnehmen und voneinander lernen. Da geht es mir vor allem um das Thema Inklusion – logischerweise, mit meinem Background. Ich bin leider anders aufgewachsen. Ich bin auf dem Land groß geworden und ich habe auch viele unschöne Dinge erlebt. Damals gab es das Wort »Inklusion« noch nicht. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Kinder ganz entspannt miteinander aufwachsen, ohne Vorurteile, ganz egal, ob mit oder ohne Behinderung. Ich wünsche mir, dass wir eine Arbeitswelt haben, in der wir ganz selbstverständlich miteinander umgehen, in der wir Schwächen offen äußern können und unsere Stärken ausbauen. Das ist das, was ich mir von der Zukunft und von der Gesellschaft wünsche. Dass wir uns nicht limitieren, dass wir miteinander wachsen, dass wir offen füreinander sind und dass wir jedem die Chance geben, ein Teil der Gesellschaft und ein Teil der Arbeitswelt zu sein. Denn immer, wenn wir Perspektiven wechseln, entstehen auch Innovationen.

Welche Rolle können Sparkassen spielen, um an der Realisierung dieser Vision mitzuarbeiten?
Die Digitalisierung im Banking ist die Basis dafür, ein selbstständiges Leben zu führen. Somit ist die Zugänglichkeit zum Banking und wie ich Dinge im Alltag selbst erledigen kann, egal welches Handicap ich habe, entscheidend.

Wem sollten wir in Zukunft Aufmerksamkeit schenken, um eine wünschenswerte Zukunft für alle zu gestalten?
Jedem. Weil jeder zur Zukunft beiträgt. Wir sollten einen offenen Austausch haben und voneinander lernen. Dafür müssen wir Menschen, egal welche Behinderung sie haben, Plattformen anbieten, die Freiheit ermöglicht. Wenn jeder Mensch selbstbestimmt leben kann, dann ist er selbstbewusst und hat Vertrauen in die Gesellschaft. Gerade in den letzten Jahren sind viele Innovationen dazu gekommen, die den Menschen den Alltag erleichtern.

Was macht für Sie eine:n Zukunftsmacher:in aus?
Ein:e Zukunftsmacher:in ist hungrig und geht aus ihrer:seiner Komfortzone heraus. Er:sie inspiriert, motiviert, er:sie tauscht sich aus, er:sie ist kreativ und offen für Neues. Ein:e Zukunftsmacher:in hat den Mut, die Kraft und die Ausdauer, auch mal durch schwere Zeiten zu gehen. Denn ansonsten kann er:sie viele Ideen haben, aber die werden nicht Realität werden.

Über welchen Punkt haben wir nicht ausreichend gesprochen?
Über die Einstellung, dass die Welt immer voller Chancen ist. Ich denke, dass wir gerade in veränderungsreichen Zeiten positiv nach vorn schauen sollten. Es ist ganz essenziell, dass wir Vertrauen ins Leben haben, an das Gute glauben und Chancen sehen und sie nutzen. Es ist immer wichtig, die Welt voller Möglichkeiten wahrzunehmen.

Zukunft machen

Über sich hinauswachsen

Sind Sie stolz auf sich? Gut. Denn da, wo Sie sich gerade befinden, sind Sie vermutlich nicht einfach so hingekommen. Sie haben hart gearbeitet, den ein oder anderen Umweg genommen und sie mussten über ihre Komfortzone hinausgehen. Dadurch sind Sie gewachsen. Das Wachsen wollen konkurriert allerdings nicht selten mit dem Wunsch nach Komfort. Aber: Die Welt um uns herum wandelt sich und das Sich-Einnisten wird zur Nichtoption. Wer in Zukunft Teil einer guten Gegenwart sein will, muss sich deshalb immer wieder Ziele stecken.
Sich ein bisschen weiter strecken, als es sich im ersten Moment gut anfühlt. Im zweiten Moment werden wir dadurch flexibler, größer. Ungemütlich erscheinende Welten werden gemütlich. Und in ein, zwei oder zehn Jahren können Sie – ein paar Zentimeter größer als heute – auf die Eingangsfrage immer noch inbrünstig mit »Ja!« antworten.