Kultur folgt Struktur

Kerstin Berghoff-Ising

Kerstin Berghoff-Ising, Vorstandsmitglied der Sparkasse Hannover
Seit ihrer Ausbildung ist sie Teil der Sparkassen-Finanzgruppe.
In der Sparkasse Hannover arbeitet Kerstin Berghoff-Ising seit acht Jahren als Vorstandsmitglied und verantwortet das Dezernat Organisation und IT, Personal, Regionaldirektionen, Private Kunden, KundenServiceCenter und Immobilien.

Wir reden heute über das Machen. Zum Einstieg die ganz simple Frage: Was haben Sie vor diesem Gespräch gemacht?
Ich bin mit meinem Dackel spazieren gegangen.

Wie schaffen Sie es, ins Machen zu kommen und sich zu motivieren, wenn Sie mal keine Lust haben?
Wenn es um die Sparkasse geht, habe ich eine extrem hohe Disziplin und von daher brauche ich gar nicht über Motivation nachzudenken. Außerdem bekommt man unheimlich viel zurück, sei es von den Mitarbeitenden oder von den Kundinnen und Kunden. Natürlich gibt es auch schlechte Tage, an denen man sich fragt: »Was mache ich hier eigentlich?«, aber die Tage, an denen man genau weiß, warum man etwas macht, die überwiegen. Das meine ich auch wirklich so, wie ich es sage. Ich empfinde es als Aufgabe und als Verantwortung, dieses Unternehmen so weiterzuentwickeln, dass es auch in Zukunft noch weiter bestehen kann. Wir werden bald 200 Jahre alt. Ob wir noch 200 Jahre bestehen, weiß ich nicht. Aber ich habe gestern gesagt, dass ich mir vorgenommen habe, so alt zu werden wie die Queen. Für die Dauer dieser Lebenszeit sollte die Sparkasse auf jeden Fall noch da sein. Und das ist noch ein bisschen.

Was ist die nächste Herausforderung, der sich die Sparkassen stellen sollten, um ein gutes Fortbestehen zu ermöglichen?
Das ist die Relevanz. Unsere Relevanz für die Kundinnen und Kunden stellen wir tagtäglich unter Beweis. Was meine ich damit? Unsere Mehrwerte als Sparkasse in der persönlichen Beratung müssen wir konkretisieren und in den Mittelpunkt unseres Tun und Handelns stellen. Unsere aktuellen Konzepte wie das S-Finanzkonzept und eine ganzheitliche Beratung sind alle richtig. Ich glaube aber, dass wir erstmal überlegen müssten, wie der Kunde überhaupt zu uns kommen will. Will er überhaupt zu uns kommen? Und wenn er nicht zu uns kommen will – können wir dann zu ihm kommen?

Wie kommen Sie denn zu den Kund:innen?
Wir haben im Rahmen einer Kundenkontakt-Analyse festgestellt, dass sich ganz viele Kunden einen medialen Kontakt zur Sparkasse sehr gut vorstellen können. Deswegen haben wir Beratungs-Center Direkt gegründet. Das sind Beratungszentren, in denen wir vorrangig Videoberatung anbieten. Der Kunde kann uns auch persönlich besuchen, aber die meisten Kunden, die mal in so einem Center beraten wurden, machen das nicht. Wenn sie einmal dieses Live-Erlebnis hatten, d. h., dass man sich auf Distanz sehr persönlich unterhalten und gemeinsam auf Unterlagen gucken kann, finden die Kundinnen und Kunden so bequem, klar und gut, dass sie da erstmal Relevanz erfahren. Das ist aber nur der Zugangsweg.

Was kommt danach?
Der zweite Punkt ist, dass wir einen Mehrwert bieten müssen, indem wir den Kunden ausführlicher über Themen beraten können, als er selbst recherchieren kann, sodass er zu einer guten Finanzentscheidung kommen kann. Und der dritte Punkt ist, dass wir konkrete Anlässe haben, die ins Lebensumfeld des Kunden passen, z. B. der Berufseinstieg oder eine Heirat. Das sind Ziele und Ideen, die schon zum Teil, aber noch nicht alle realisiert sind. Deshalb arbeiten wir daran, um gut in die Zukunft zu kommen.

Das sind Angebote und Zugänge. Wie aber können Sparkassen im Leben ihrer Kund:innen präsent sein?
Wenn Sie sich Rankings ansehen, sind die Banken- und Sparkassenausbildung in der Beliebtheitsskala nicht besonders hoch angesiedelt. Ich hatte kürzlich ein Treffen mit jungen Menschen, die bei uns eine Zusatzausbildung gemacht haben. Ich habe sie zu einem Mittagessen eingeladen, um zu fragen, wie sie zu ihrem Beruf stehen. Das waren etwa 30-Jährige, die dann erzählten, dass sie jetzt erstmals in Bezug auf Finanztipps Kontakt zu ihren Freunden haben. Durch die Börse, die sich im Jahr 2022 doch sehr volatil und nicht stetig nach oben entwickelt hat, und durch die Entwicklung der Kryptowährungen wurde den Menschen plötzlich klar: Ich kann mir nicht alles alleine über YouTube-Filme oder durch Internetrecherche erschließen, sondern ich brauche dann eben doch jemanden, der ausgebildet ist und dem ich vertrauen kann.

Wir sprechen heute über das Machen von Zukunft. Wie gehen Sie an Zukunftsprojekte heran?
Als wir uns mit der Sparkasse Hannover vor sechs, sieben Jahren erstmals mit dem Thema Digitale Transformation beschäftigt haben, war das für uns noch ein globaler Begriff. Irgendwann haben wir uns dann mit der Arbeitswelt von Start-ups beschäftigt. Das ist für mich ein guter Grund gewesen, auch in den S-Hub mit reinzugehen und zu gucken, wie Menschen und Unternehmen arbeiten, die in der Regel auf der grünen Wiese anfangen. Diese erkennen zuerst einen Bedarf, um dann zu überlegen, wie sie diesen Bedarf lösen können. Was da sehr deutlich wurde, ist die Radikalität, wirklich vom Kunden her zu denken. Wir sagen in der Sparkassen-Landschaft, dass wir vom Kunden her denken. Das machen wir auch. Aber oft spielen sich Themen rund um Effizienz oder Prozesse aus dem Hintergrund peu à peu in den Entscheidungsebenen immer weiter nach vorne. 
In der Sparkasse Hannover haben wir deshalb das Thema Kundenreisen für uns aufgenommen, d. h., dass wir wirklich Lösungen schaffen und Prozesse weiterdenken, indem wir Kunden mit einbeziehen und indem wir versuchen, vom Kunden her zu denken. Das heißt nicht, dass wir alles machen, was der Kunde sich wünscht, aber dass wir Wert darauf legen, wirklich die Fragestellung oder das Problem des Kunden zu begreifen. Das ist der Punkt.

Ist das der einzige Punkt?
Ein zweiter Punkt ist ein Zukunftsthema, das schneller gelöst werden muss, als ich das Alter der Queen erreiche: Da geht es schlicht und ergreifend um den Punkt, dass wir netzwerkartig noch viel, viel enger zusammenarbeiten können. Hier geht es mir um die Abkehr vom Denken in Ressorts und Silos und um die Frage danach, wer der Wichtigste in einem Unternehmen ist. Das wollen junge Mitarbeiter nicht. Das will auch die nächste Generation nicht mehr. Offenheit im Umgang miteinander ist etwas, was mir wirklich am Herzen liegt. Mit dieser Offenheit müssen wir nächste Schritte denken, nächste Meilensteine planen und umsetzen. Ich will nicht immer von Zukunft sprechen. Das ist so ein großes Wort. Ich wünsche mir, dass wir tagtäglich offen miteinander an unseren Themen arbeiten. Das ist mir auch in der gesamten Sparkassen-Organisation wichtig. Dieses Hand-in-Hand-Arbeiten müssen wir noch weiter intensivieren, damit wir gemeinschaftlich gut in die Zukunft kommen.

Zukunftsgewandtheit braucht eine bestimmte Kultur, oder?
Wir sagen bei uns: Die Kultur folgt der Struktur. Das kann man am letzten großen Projekt, bei dem ich Patin war, veranschaulichen. Da ging es um die vertriebliche Neuaufstellung des Privatkundengeschäfts. Üblicherweise übernehmen bei solchen Projekten Stabsbereichsleiter oder Stabsabteilungsleiter die Projektleitung. Wir haben für die Rolle bewusst einen Vertriebsdirektor gewählt, der noch nie im Stab gearbeitet hat. Und der hat dann zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Stab zusammen das Thema erschlossen. Und da wurde deutlich, dass er andere Fragestellungen reinbringt und dass er eine ganz andere Art der Entscheidung gewohnt ist. Vertriebler müssen sofort entscheiden. Das wiederum hat die Kolleginnen und Kollegen aus dem Stab total motiviert, auch mal ganz neu zu denken, andere Fragestellungen zuzulassen und dann wiederum an Lösungen zu arbeiten.

Sind Sie auch schon mal an einem ambitionierten Vorhaben gescheitert?
In einem Bereich, den ich verantworte, bin ich mal an der Fragestellung gescheitert: Können wir auf Führung verzichten? Das wollten wir ausdiskutieren. Allerdings war die Aufgabenstellung nicht klar und nach einem Jahr war das ganze Team sowas von durcheinander. Da habe ich für mich gelernt: Es braucht klar formulierte Aufträge und Struktur. Wenn es die aber gibt, muss man auch loslassen können. Das fällt mir nicht leicht und da muss auch ich noch üben. Aber das ist ein gemeinschaftlicher Weg.

Was wünschen Sie sich für die Sparkasse der Zukunft?
Ich glaube, dass wir uns zu klein machen, wenn viele sagen, dass wir nicht modern genug sind. Ich finde, wenn man sich tagtäglich sagt, dass Andere besser sind, macht man sich klein. Dann kann man auch nicht selbstbewusst seine eigenen Lösungen präsentieren. Und davor müssen wir uns manchmal wirklich selbst schützen. Das Zweite, was ich mir wünsche, ist, dass wir uns gegenseitig mehr vertrauen. Ich lerne zum Beispiel viel von Sparkassen, die ein ganz anderes Geschäftsvolumen als wir haben. Wir sind die sechstgrößte Sparkasse, also sind sehr viele kleiner als wir. Aber die Lösungen, die in anderen Regionen geschaffen werden, sind oft so gut, dass ich da hingucke und abgucke, was wir für die Sparkasse Hannover ebenfalls nutzen können.

Blicken wir noch weiter über den Tellerrand: Welchen Stimmen sollten wir zuhören, um eine gute Zukunft für alle zu ermöglichen?
Ich glaube, wir sollten den Generationen generell zuhören. Vor allem der jungen Generation sollten wir jetzt sehr genau zuhören in Bezug auf ihre Sorge, was mit dieser Welt passiert. Wir müssen ihr zuhören, wie sie arbeiten will. Das ist wichtig, damit wir zukünftig im Rahmen des Fachkräftemangels eine gute Arbeitgeberin sind. Wir müssen aber auch der älteren Generation zuhören, weil sie ein Stück Lebenserfahrung mitbringt, die der jüngeren Generation wiederum Sicherheit und Ruhe geben kann.

Was macht eine:n Zukunftsmacher:in für Sie aus?
Eine hohe Resilienz und eine positive Einstellung zum Leben. Dazu braucht es die Fähigkeit, loszulassen und sich nicht so wichtig zu nehmen. Und zuletzt kann diese Person kreative Gedanken in eine Machbarkeit, also in ein Lösungspaket, übersetzen. Sie hat Freude am Experimentieren.

Und was ist der Polarstern, der Sie im Arbeitsalltag leitet?
Schwierige Frage. Das Eine ist, was mir meine Ausbildungschefin in meiner allerersten Woche in der Sparkasse Hannover gesagt hat: »Sie grüßen jeden und Sie geben jeden Fehler sofort zu.« Das ist etwas, das mache ich bis heute. Ich weiß genau, wie wichtig jeder Einzelne ist. Das Zweite ist: Wenn ich etwas nicht weiß, dann frage ich mich durch. Ich habe ein tiefes Vertrauen, dass ich mit dieser Gruppe, mit diesem Team, in dem ich arbeite, schon alles schaffe.

Zukunft machen

Netzwerke bilden

Alles ist mit allem verbunden. Jedes kleine System geht in einem größeren System auf, das mit einem noch größeren System verbunden ist. Zusammen bilden sie ein Ökosystem oder auch:
ein Netzwerk. Mithilfe von intelligent operierenden Netzwerken funktioniert das Zusammenspiel der Zellen im menschlichen Körper oder das Zusammenwirken von Gezeiten auf unserem Planeten.
Vielleicht sollten wir von der Intelligenz der Natur lernen. Wer seine Organisation als Teil eines Netzwerks begreift, legt die Scheuklappen innerbetrieblicher Engstirnigkeit ab. Dann geht es nicht nur um mich hier drinnen, sondern um meine Rolle als Teil des Draußen. Das nennt man auch ein Denken und Handeln im Big Here. Wer Netzwerke bildet, lässt neue Impulse zu und erhöht
so die Intelligenz seiner Organisation. Netzwerke lassen uns wachsen. Und es gibt noch einen Vorteil: Wer Netzwerke bildet, ist nicht allein.