Mit der Erde klarkommen

Dr. Kai Noeske

Dr. Kai Noeske ist Astrophysiker und Leiter der Kommunikation zur Weltraumwissenschaft der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
Nach Studium und Promotion in Göttingen forschte er elf Jahre lang in den USA, an der University of California Santa Cruz, am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge/Massachusetts und als Astronom für das Hubble-Weltraumteleskop in Baltimore. Thema seiner Forschung ist die Entwicklung der Milchstraßen. Er war Mitinitiator, Koordinator und Leiter internationaler Projekte an Weltraumteleskopen, die neue Erkenntnisse zur Geschichte der Sternentstehung brachten. Im Anschluss arbeitete er am Max-Planck-Institut für Astronomie/Haus der Astronomie in Heidelberg und wirkte als Manager des »Science Dome« am Aufbau des Science Centers »experimenta« in Heilbronn mit. Seit 2020 arbeitet er für die ESA.

Was haben Sie unmittelbar vor diesem Gespräch gemacht?
Unmittelbar vor diesem Gespräch habe ich mit den Mitarbeiter:innen der internationalen Planetarien einen Plan für eine Zusammenarbeit in den nächsten Jahren entworfen. Und ansonsten bin ich letzte Nacht schon sehr früh aufgestanden, um einen Kommunikationsplan für unsere nächste große Mission zu überarbeiten: JUICE, die Mission, die zum Jupiter und zu den Eismonden fliegt.

Das klingt sehr produktiv.  Was motiviert Sie, ins Machen zu kommen, selbst wenn Sie mal keine Lust haben?
Wenn ich irgendwo vor einer Kamera, auf einer Bühne oder vor einer Gruppe von Menschen stehe und unsere Arbeit erkläre. Denn der Weltraum ist eine tolle Sache und macht Spaß – aber was mir unheimlich wichtig ist und mir sehr viel Energie gibt, ist die zugrunde liegende Motivation dessen, woran ich arbeite: Das ist eine internationale Kooperation in Europa und auch darüber hinaus. Ich möchte gerne den Wert und die Notwendigkeit dieser Kooperation vermitteln und die Begeisterung dafür teilen. Der Weltraum ist dafür ein hervorragendes Zugpferd, weil sich viele Menschen dafür interessieren. Immer wenn ich es einrichten kann, diese übergeordneten Ziele anzubringen und Leuten davon zu erzählen, um sie zu motivieren, dann gibt mir das selbst enorm viel Motivation und Auftrieb.

Welche Rolle spielt der Weltraum für die Zukunft?
Der Weltraum ist unerlässlich, aber er ist nicht genug für unsere Zukunft. Wir müssen sehr viel auf der Erde tun. Doch der Weltraum wird uns enorm dabei helfen. Zunächst einmal geht es um Dinge wie die Klimakrise und die Entwicklung des Planeten.
Es geht auch um die Beobachtung und die Vorhersage von globalen Problemen. Dabei ist die Erdbeobachtung mithilfe von Satelliten, die sich im niedrigen Erdorbit bewegen, sehr wichtig. Aus Höhen zwischen einigen 100 und bis zu 2000 Kilometern liefern diese inzwischen ein sehr umfassendes Bild davon, was auf der Erde passiert – sei es in Bezug auf die Umwelt, die Atmosphäre, die Vegetation oder auch in Bezug auf Krisen und allgemeine globale Entwicklungen. Zu erkennen, welche Probleme womöglich auftreten werden, ist von entscheidender Bedeutung. Der Weltraum ist also weit mehr als hilfreich, er ist unverzichtbar.

Wie kann man den Weltraum der Gesellschaft und den Menschen, die auf der Erde leben, zugänglicher machen?
Den Menschen den Weltraum überhaupt erst einmal nahezubringen, das ist die Aufgabe, die meine Kolleg:innen und ich vor uns haben. Die meisten wissen sehr wenig darüber. Der Weltraum kommt in den Schulen kaum vor. Das bringt eine große Kommunikationsaufgabe mit sich. Um Zielgruppen zu erreichen, die ansonsten wenig Berührungspunkte mit dem Thema haben, macht es Sinn, erst einmal mit aufregenden Narrativen anzufangen: Geschichten, die das tägliche Leben berühren und die Begeisterung und Staunen vermitteln. Das ist ein bewusst eingeplanter Effekt der Wissenschaftsprogramme des astronautischen Raumflugs, wenn da draußen im All jemand fliegt, runter auf die Erde winkt und später in den Nachrichten oder in den Mainstream-Medien auftaucht. Das ist ohnehin etwas Spektakuläres: der Blick auf die Erde.

Welche Rolle spielt dieser Perspektivwechsel für uns auf der Erde?
Weltraumbilder sind allgegenwärtig und Teil unserer Kultur geworden. Das Hubble-Teleskop hat uns unter anderem durch seine spektakulären, aufgearbeiteten Bilder auch ein neues Bild der Welt gezeichnet. Es ist tatsächlich mehr als ein Stück Wissenschaftsgeschichte dadurch entstanden, dass dieses Teleskop unser kollektives Denken weiter in den Weltraum gebracht hat. Dadurch wurde das Bewusstsein geschaffen, dass es eine Welt außerhalb unseres Planeten gibt. Auch durch das jetzt neu gestartete Webb-Teleskop sind diese Visionen mehr als Wissenschaftsgeschichte. Sie sind ein Stück Menschheitsgeschichte.

Diese Bilder verändern also unser Denken. Verändern sie auch unser Handeln? Welche Machanstöße sollten sie Ihrer Meinung nach vermitteln?
Denk groß, denk weit voraus, denke auch kühn. Sieh dir an, was für unerhörte Dinge wir gemacht haben. Die Menschheit ist vor 50 Jahren schon auf den Mond geflogen und war seitdem fast ununterbrochen im Weltraum präsent. Das hat dazu geführt, dass ein Großteil unseres täglichen Lebens heute vom Weltraum abhängt. Wir können unsere Ursprünge suchen und unsere Zukunft sehen. Schau dir an, wie klein unser Planet ist, wie wir insgesamt als Spezies zusammenarbeiten und was wir insbesondere erreichen können, wenn wir international zusammenarbeiten. Deshalb: Sieh unsere Welt global und denk über die Erde hinaus.

Stichwort Kühnheit: Wann haben Sie zuletzt Unbehagen verspürt und trotzdem etwas Neues gewagt?
Unbehagen ist eigentlich ständig da, weil die Aufgaben heutzutage so anspruchsvoll und komplex sind. Wir hatten eine Liveübertragung, als das Webb-Teleskop seine ersten Bilder veröffentlicht hat. Zuvor gab es einige Unwägbarkeiten. Wir haben relativ spät nochmal einer Veränderung zugestimmt, weil an einer Stelle verschiedene Leute aus unserem Team gesagt haben: »Das und das wird problematisch. Lasst es uns doch anders machen.« Ich habe die Verantwortung für die Inhalte sowie das Format übernommen und die Eckpunkte vorgegeben – und das hat dann tatsächlich sehr gut funktioniert. Das war unser Beitrag zu dieser globalen Übertragung, der es anschließend auch auf die New-York-Times-Homepage geschafft hat.

Wie können wir Menschen ermutigen, an der Zukunft teilzuhaben und diese zu gestalten?
Indem wir über Politikverdrossenheit oder Ähnliches hinaus die Botschaft vermitteln: Wir alle können mit relativ einfachen Dingen etwas tun. Wir müssen Mut machen, statt Krisen heraufzubeschwören. Nicht Krisen, sondern Lösungen präsentieren und zeigen: Hier sind Dinge, die wir alle selbst tun können, um daraus eine Erfolgsgeschichte zu stricken. Ob der oder die Einzelne wirklich mitmacht, ist, glaube ich, weniger wichtig als das Gefühl der Zugehörigkeit und einer gewissen Selbstbestimmtheit. Dazu kommt dann das Empowerment, also der Zugang zu den nötigen Werkzeugen, um etwas verändern zu können.

Welche Rollen können Banken dabei spielen, Empowerment zu fördern?
Ich glaube, Banken wie die Sparkassen sind dadurch, dass sie so publikumsnah sind, ein wertvoller Kommunikationspartner. Es gibt noch Filialen und der Großteil der Bevölkerung hat da ein Konto. Es gibt die Kommunikationskanäle, an die man mit Gestaltungsmöglichkeiten anknüpfen kann. Ob das nun Anreize für nachhaltiges Wirtschaften oder beispielsweise vergünstigte Darlehen für Photovoltaik sind, ist zweitrangig. Es können kleine Anreize sein. Eine Bank könnte über das Finanzielle hinaus verschiedene Möglichkeiten bieten und darüber sogar ihr eigenes Image stärken. Zum Beispiel: Wir unterstützen ein Umweltprojekt – möchten Sie aus Ihrem jährlichen Sparplan einen kleinen Beitrag dazu leisten? Gerade im regionalen Kontext der Banken sehe ich da gute Möglichkeiten.

Gibt es in Zukunft Bankautomaten auf dem Mars?
Was wir gelernt haben – und das ist ein Teil der kosmischen Perspektive – ist: Es gibt in unserem Sonnensystem keine andere Welt, auf der wir im Augenblick leben können. Und selbst wenn wir einen erdähnlichen Planeten finden, ist der so weit entfernt, dass wir ihn mit unserer heutigen Technologie nicht erreichen können. Die kurzgefasste Botschaft ist: Wir müssen mit der Erde klarkommen. Wir werden vermutlich eine dauerhaft besetzte Forschungs- und Operationsbasis, vergleichbar mit einer Polar- oder Unterwasserstation, auf dem Mond haben. Die astronomische Raumfahrt zum Mars, allein schon, um Menschen für einige Monate dorthin zu bringen, ist zwar angestrebt, aber technisch und vor allem wirtschaftlich ein enormes Unterfangen. Man müsste auf dem Mars eine enorme Infrastruktur schaffen, um eine kleine Zahl von Menschen längerfristig unterbringen zu können.

Also keine Bankautomaten?
Wie würden Bezahlsysteme im Weltraum aussehen? Vermutlich gibt es keine analoge Post und kein Bargeld. Ich würde einfach alles wie heute mit meiner Smart Watch oder einem anderen digitalen Endgerät bezahlen.

Jenseits von Weltraum und Bankautomaten:
Was brauchen wir für eine gute Zukunft?
So sehr ich auch von der Relevanz der Wissenschaft und technologischer Entwicklungen überzeugt bin, so sehr habe ich vor ein paar Jahren eingesehen, dass es immer an uns liegt, technologische Möglichkeiten zum Guten oder zum Schlechten zu wenden. Die große Aufgabe für die Menschheit ist es, uns selbst als Gesellschaft besser zu verstehen. Schon in der Schule sollten wir Geschichte und Naturwissenschaften in den Kontext stellen und ein Bewusstsein für die menschliche Natur schaffen. Gewisse Mechanismen, Emotionen und Impulse sind evolutionär bedingt einfach vorhanden. Wir müssen aufzeigen, wo die menschliche Natur reinspielt oder reingespielt hat. Unser Verhalten, unsere Emotionen, unsere Ansichten sollten wir nicht als objektiv sehen, sondern vermitteln, wieso Menschen so ticken wie sie ticken. Wir müssen diesen Schritt gehen, uns als Menschheit zu verstehen.
Wir müssen uns bewusst sein, welche Strategie wir als ganze Gesellschaftsform, welche Werte und welchen Umgang wir miteinander brauchen, damit wir global eine Chance haben. Nur dann sollten wir die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen so nutzen, dass sie nicht zum persönlichen, sondern zu unserem kollektiven Vorteil beitragen.

Einige Zukunftsvisionen kommen uns manchmal ziemlich groß vor und können dadurch lähmen. Was können wir tun, um sie trotzdem zu realisieren?
Lösungsansätze mit kleinen, machbaren Schritten bieten, damit Menschen das Gefühl haben: Da tu ich was, da bin ich stolz drauf. Es sollten Lösungen angeboten werden, mit denen eine Bank ein Signal sendet, das ausdrückt: Wir geben unseren Kund:innen die Möglichkeit, mitzumachen. Es gibt viele kleine Dinge, die alleine nicht alles retten werden, die aber Teilhabe und Kontrolle ermöglichen. Vielleicht gibt es den Lastenrad-Kredit für eine grünere Mobilität. Oder man tut ein bisschen was für die Altersvorsorge, tätigt ein kleines Investment und wählt dann nicht irgendeinen allgemeinen, sondern einen nachhaltigen Fonds. Möglicherweise erhält die Person, die das tut, in der Projektion ein, zwei oder drei Prozent weniger im Jahr, weiß aber dafür: Ich trage zur Zukunft bei.

Wie würden Sie eine:n Zukunftsmacher:in charakterisieren?
Weit vorausdenkend, motivierend, führend. Aber es ist auch eine Person, die gut Strukturen aufbauen und im Hintergrund arbeiten kann, die Botschaften rüberbringt und Menschen unter einem gemeinsamen Ziel vereint.

Welchen Stimmen sollten wir unbedingt mehr Gehör schenken, wenn es darum geht, Zukunft zu machen?
Zunächst einmal ganz generell gesprochen: Wir sollten den Stimmen der jungen Leute zuhören, bei denen ein Gefühl von Dringlichkeit da ist, was die Zukunft unseres Planeten angeht. Sie wissen, dass es fünf nach zwölf ist und dass es um unsere Zukunft geht. Dass heute so viele Proteste auftreten, ist eine Konsequenz daraus, dass sich auf höheren Ebenen in Wirtschaft und nationaler wie internationaler Politik einfach noch viel zu wenig tut. Was wir sehen, ist ein Hilfeschrei: »Jetzt tut doch endlich was!« Auch da hätte eine weitverzweigte Unternehmensgruppe wie eine Bank mit starkem Kundenzugang die Möglichkeit, die Botschaften dieser Gruppe zu übernehmen und zu sagen: Ich bin jemand, der sich in einer sehr seriösen, sehr risikobewussten Weise um eine langfristige Zukunftsplanung kümmert. Ich sehe, was wir tun müssen und welche Vorhaben wir fördern sollen. Hiermit unterstützen wir diese Vision. Machen Sie doch einfach mit.

Welche Vision treibt Sie an, Zukunft zu machen?
Tatsächlich eine Vision dessen, was ich durch viele Jahre internationaler Arbeit erlebt habe: Ich möchte ein Gefühl und ein Bewusstsein für den Wert globaler Zusammenarbeit vermitteln, um internationale Zusammenarbeit zu stärken. Europa als Beispiel ist etwas, worauf man jenseits von Nationen sehr stolz sein kann. Es ist ein Beispiel dafür, wie man den Mut hatte, sich gegenseitig Vertrauen entgegenzubringen. Ein Beispiel dafür, die Energie aufzubringen, eine große internationale Zusammenarbeit in einer sehr diversen Projektgruppe aufzubauen, in der wir erstmal lernen müssen, die gleiche Sprache zu sprechen und individuelle Interessen unter einen Hut zu bringen. Das kostet sehr viel Zeit. Das passiert schon im Bewusstsein, dass es Reibereien geben wird, die sehr viel Energie beanspruchen. Das passiert im Bewusstsein, dass wir in vielen Punkten nicht optimal effizient arbeiten. Aber es ist der Weg vorwärts. Wie viele Jahrzehnte da schon an harter Arbeit eingeflossen sind und was wir alles erreicht haben! Wenn wir dieses Vertrauen und diese Zusammenarbeit ermöglichen, haben wir auf der Erde etwas, was wir weitertragen sollten und worauf wir auch stolz sein können. Und das möchte ich gerne vermitteln.

Zukunft machen

Internationalität fördern

Blicken wir auf das, was uns als Menschen unterscheidet? Oder blicken wir auf das, was uns verbindet? Es liegt an uns. Eines verbindet uns fundamental: Wir alle leben gemeinsam auf einem Planeten. Und um diesen einzigartigen Planeten muss sich die Menschheit kümmern. Gemeinsam. Die Klimakrise macht nicht vor Landesgrenzen Halt. So wie die Herausforderungen von globaler Natur sind, so sind es auch die Lösungen. Dafür braucht es den Zusammenschluss der klügsten Köpfe aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Dafür braucht es ein neues Denken – ein Planet-zentriertes Denken. Das wird uns nur gelingen, wenn wir Internationalität fördern. Läuten wir also eine neue Phase der Globalisierung ein, in der wir nicht mehr Waren, sondern Ideen rund um den Globus schiffen. Leben wir neue Formen der Kooperation, die der Vielfalt der Welt und allen Lebewesen auf diesem Planeten gerecht werden.