Message from Silicon Valley

Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren ein Start-up. Es folgten Stationen bei Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com

von Pascal Finette

Die Zukunft hat schon begonnen

Die Zukunft stellen wir uns in der Regel als das große Unbekannte vor – eine Science-Fiction-Welt, wie sie sich nur die kreativsten und brillantesten Köpfe ausmalen können. Mit Bewunderung lesen wir die Werke von Neal Stephenson, der 1992 in seinem Roman „Snowcrash“ die bislang noch nicht verwirklichte Vision eines „Metaverse“ – einer digitalen und vollständig immersiven VR-Welt – vorstellte. Voller Ehrfurcht erinnern wir uns, wie sich Bill Gates eine Welt vorstellte, in der es „auf jedem Schreibtisch und in jedem Haus einen Computer" geben würde – eine Zukunftsprognose, die er 1980 machte.

Wenn es um Technologien geht, können wir jedoch alle Zukunftsforscher sein. Denn die Zukunft ist bereits unter uns – nur ist sie nicht gleichmäßig verteilt (wie der Science-Fiction-Autor William Gibson 2003 anmerkte). Alles, was man braucht, um einen Blick in die Zukunft zu werfen, ist die Bereitschaft dies zu tun, die Fähigkeit, ein gewisses Maß an Skepsis abzulegen, die Zugangsmöglichkeiten, die heutzutage leichter verfügbar sind als je zuvor, und das nötige Kleingeld.

In den frühen 1990er Jahren spielte ich zum allerersten Mal VR-Spiele im Foyer unseres örtlichen Kinos. Etwa zur selben Zeit kaufte ich mir einen Apple Newton, später dann einen Palm Pilot, einen Treo und einen Nokia Communicator. Ich habe in das Metaversum hineingeschaut und es erlebt, Jahrzehnte bevor die Oculus-Rift-Brille es zu etwas deutlich weniger Randständigem machte; ich habe mit Smartphones schon zehn Jahre vor dem ersten iPhone gespielt.

Wenn es nicht gerade um die spekulativste Vorhut unter den Innovationen geht, dann kann man sagen, dass die Zukunft bereits begonnen hat. Und alles, was für uns zu tun bleibt, ist mit ihr Schritt zu halten. Das ist insofern eine gute Nachricht, als es bedeutet, dass wir alle Zukunftsforscher sein können. Wir müssen lediglich mit offenen Augen durch die Welt gehen und dabei auch ein paar Blicke in die weniger offensichtlichen Ecken und Winkel werfen. Hätten Sie gerne gewusst, wie die Zukunft der Kommunikation aussieht, wie sie beispielsweise durch das iPhone und Android-Geräte verkörpert wird? Dann hätten Sie sich 1994 ein Gerät von General Magic kaufen sollen – gute 13 Jahre vor der Markteinführung des iPhone durch Apple. Allerdings sollten Sie auch stets neugierig bleiben, nicht in die Falle tappen, Technologien in ihrer herrlich verkorksten Frühphase wegen ihrer Kinderkrankheiten zu verwerfen, und an Ihrer Fähigkeit arbeiten, in „Was wäre wenn”-Szenarien zu denken und zu handeln.

1993 veröffentlichte der Telekommunikationskonzern AT&T einen Werbespot mit dem Titel "What is the cloud" ("Was ist die Wolke", hätte man damals wohl verstanden), in dem er Konzepte wie "die Cloud", e-Commerce, Navigationssysteme für Autos und intelligente elektronische Assistenten präsentierte. Dies waren alles Konzepte, die ihrer Zeit um mindestens zehn Jahre voraus waren – und die sich in milliardenschwere Geschäftsideen verwandelten, als ihre Zeit gekommen war. Wenn Sie 1993 dieses Video gesehen hätten, was hätten Sie wohl davon gehalten? Hätten Sie es als ein Kuriosum ohne weitere Bedeutung abgetan, oder hätten Sie es als eine unabwendbare Zukunft erkannt, deren Zeit noch nicht reif war?

Die Zukunft hat bereits begonnen. Es liegt an uns, mit ihr Schritt zu halten.