Message from Silicon Valley - die Kolumne von Pascal Finette
Allmählich, dann aber plötzlich!
Zu den merkwürdigsten Dingen, die in unserer heutigen Welt passieren - und ganz offen gesagt, ist es ein Phänomen, das die meisten, wenn nicht sogar alle, von uns regelmäßig aus dem Konzept bringt – gehört jener Umstand, den Ernest Hemingway einst als »allmählich, dann aber plötzlich« bezeichnet hat.
Nun benutzte Hemingway das Zitat selbstverständlich in einem völlig anderen Zusammenhang, nämlich bezogen auf Insolvenzen, wo es eine sehr zutreffende Beschreibung der Umstände zu sein scheint. Für die Technologie gilt es jedoch gleichermaßen. Und gleichzeitig erinnert es uns an ein altes deutsches Sprichwort: »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird«. Sind sie nicht einfach wunderbar, diese deutschen Sprichwörter?
Viele von uns lassen sich von der Begeisterung in Bezug auf neue Technologien und bevorstehende technologische Durchbrüche mitreißen. Oftmals aber sind die Dinge viel komplexer und dauern deutlich länger, als wir es wünschen. Als Beispiel betrachte man nur die autonomen Fahrzeuge: Bis heute werden Sie auf viele Experten und Meinungsmacher stoßen, die die Markteinführung vollautonomer Fahrzeuge, in der Branche bezeichnet als »Level 5, Autonomes Fahren«, als unmittelbar bevorstehend deklamieren werden. Und damit auch den völligen Zusammenbruch der traditionellen PKW-Hersteller, verbunden mit dem noch schnelleren Aufstieg der Carsharing-Plattformen und dem kompletten Wegfall des Berufsstandes der LKW-Fahrer.
Moment mal. So schnell geht das nicht.
Nach Alphabets eigenem Eingeständnis, dass selbstfahrende Autos einen großen Hype durchlaufen haben (Zitat CNBC: »Alphabet-Boss erzählt, dass selbstfahrende Autos einen großen Hype durchgemacht haben, doch Google hat geholfen, diesen Hype zu befeuern«) über die Herabsetzung der Bewertung von Waymo um 40 % durch Morgan Stanley bis hin zu Waymos Rückzug aus dem Testmarkt in Austin – Bau und Betrieb eines autonomen Fahrzeugs des Levels 5 erweisen sich als schwierig. Und das hat nicht nur Waymo erkannt. Daimler ist dabei, seine Ambitionen im Hinblick auf selbstfahrende Autos in die »richtigen Dimensionen« zu korrigieren (Zitat Ars Technica: »Wieder rudert ein Unternehmen mit seinen Erwartungen an selbstfahrende Taxis zurück.«), so wie es auch andere tun. Selbst der häufig gemeldete, durch Fahrgemeinschaften und automüde Millennials verursachte Einbruch bei den Autoverkäufen scheint eher ein PR-Trick zu sein, als dass er durch handfeste Zahlen gestützt wäre (Zitat WIRED: »Die Nachricht vom Ende der Autos war eine maßlose Übertreibung.«)
Wie dem auch sei – die Auswirkungen der technischen Entwicklung sollten Sie trotzdem besser nicht unterschätzen. Auch Technologien des autonomen Fahrens mit geringerer Funktionalität, im Jargon der Branche wäre das zum Beispiel die sogenannte »Autobahn-Autonomie« oder »Level 4«, werden sich enorm auf die Art und Weise auswirken, wie wir über unsere Unternehmen denken und wie wir sie führen. Wer schon einmal in einem Tesla die Funktion »Autopilot« benutzt hat, hat Level-4-Funktionalität in freier Wildbahn erlebt. Vorausgesetzt, der Gesetzgeber spielt mit, werden wir solche Funktionen schon in naher Zukunft in vielen Personen- und Lastkraftwagen sehen. Und es ist sehr wohl denkbar, dass es irgendwann einen »allmählich, dann aber plötzlich«-Moment für autonome Fahrzeuge gibt. Nur lassen Sie sich nicht zu sehr vom Hype mitreißen!
Eine einfache Lehre lässt sich aus diesem Beispiel ziehen. Und ich bin der Meinung, dass sie sich auf viele andere Technologien wie KI, Blockchain, IoT, 5G, Genom-Editierung, Mikrobiom, etc. übertragen lässt: Schauen Sie sich die Daten genau an und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung!