Kolumne von Pascal Finette
Message from Silicon Valley
Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren in Köln ein Start-up, mit dem er scheiterte. Später arbeitete er für Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com
Scheitern als Strategie?
Von Pascal Finette
Wir sind alle von einem Fieberwahn erfasst worden, der das Scheitern zum Fetisch erhebt. Mit Blog-Einträgen setzen wir unseren Verlusten Denkmäler; auf Community-Events mit Namen wie »Fuckup Nights« lamentieren wir unsere Niederlagen, und wir weiden sie sogar zu Keynotes für vollständige Konferenzformate wie FailCon aus. Es ist die besondere Ironie dieses Lernprozesses, dass das Scheitern zur guten Geschäftspraxis erhoben wurde. Dies ist nirgends stärker zutreffend als im Silicon Valley. Und natürlich erinnern wir uns an das Gründungsmotto von Facebook: »Schnell bewegen und etwas kaputtmachen!« Wie wurden wir eine Gesellschaft, die das Scheitern als ein begehrenswertes Ziel annimmt?
Die Vereinigten Staaten haben sich seit jeher durch ein hohes Toleranzniveau ausgezeichnet für Menschen, die etwas versuchen, scheitern und es wieder versuchen. Man kann dies zurückverfolgen bis in die Gründungsgeschichte des Landes selbst. Im Gegensatz dazu ist das Scheitern in vielen anderen Kulturen auf dem Globus jedoch mit strengen sozio-ökonomischen Sanktionen belegt. Sowohl in Europa als auch in Fernost, in Indien und in Südamerika wird Scheitern abgestraft, in vielen Fällen mit drakonischen Konkursgesetzen, verbunden mit gravierender sozialer Stigmatisierung. Dies hat sich inzwischen ein wenig verändert, doch indem wir das Scheitern auf ein Podest erhoben haben, sind wir wohl ein wenig zu weit gegangen.
Denn zunächst einmal ist Scheitern eine zutiefst unangenehme Erfahrung; daran gibt es nichts Ruhmreiches oder Befriedigendes. Es hat tiefgreifende Einwirkungen auf unsere Psyche und unsere Selbstwahrnehmung. Zahlreiche psychologische Studien der letzten Jahrzehnte haben erwiesen, dass wir unser Selbstwertgefühl aus dem Glauben beziehen, kompetent zu sein – und daneben auch andere von diesem Glauben überzeugen zu können. Daher ist es entscheidend für den Erhalt unseres Selbstwertgefühls, Erfolge zu erzielen. Scheitern dagegen wirkt als massiver Stressfaktor auf unser mentales Wohlbefinden ein. Zudem liefert es Futter für kognitive Verzerrungen, wenn wir unsere Erfahrungen als Scheitern einstufen. Wenn wir den Blick auf vergangene Fehler fokussieren, schränken wir damit unser Urteilsvermögen beim Entdecken neuer Möglichkeiten ein, indem wir nach Informationen suchen, die unserem negativen Vorurteil entsprechen. Ein klassisches Beispiel ist das Denkmuster: »Wir haben das in der Vergangenheit schon einmal probiert und es hat nicht geklappt. Daher wird es jetzt wieder nicht klappen.« Ein solches Denken nährt einen Teufelskreis, der dann tatsächlich zu schlechteren Ergebnissen führt.
Wenn wir unsere Fehler als Lehrmittel einsetzen, ist das gleichfalls problembehaftet: Man kann nicht allzu viel aus Fehlern lernen, weil sie immer nur Einblick liefern, warum eine bestimmte Herangehensweise nicht von Erfolg gekrönt war. In den meisten Fällen gibt es jedoch Dutzende Strategien, um ein Problem zu lösen und Millionen Wege, die zum Scheitern führen – man wird nicht viel erreichen, wenn man eine einzige Option aus einem riesigen Pool von Möglichkeiten eliminiert.
Wenn bzw. falls Sie scheitern, sollten Sie bei Ihrer Analyse der Ereignisse Sorgfalt walten lassen. Konzentrieren Sie sich darauf, Muster zu identifizieren und zu analysieren, die Ihnen für die Zukunft lehrreich sein könnten anstatt ein einzelnes Ereignis zu obduzieren. Peter Sims, der Autor des Buches »Little Bets: How Breakthrough Ideas Emerge from Small Discoveries« entwickelt aus diesem Ansatz eine prozessorientierte Methodologie: Viele kleine, sorgfältig aufgestellte Experimente verbunden mit deutlich formulierten Arbeitshypothesen maximieren die Chancen, aus Scheitern zu lernen.
Abschließend lässt sich sagen: Wenn Sie sich entschließen, ein Scheitern zu akzeptieren, tun Sie es von Anfang an als bewusster Bestandteil Ihrer Strategie. Wenn Sie kleine, sauber geplante Experimente durchführen, bei denen Sie ein Scheitern in Kauf nehmen, hilft Ihnen das, das Maximum aus dem Scheitern zu lernen und die Resultate besser steuern zu können.