Message from Silicon Valley
Von Pascal Finette
Die Aktualisierung meines iPhones auf iOS 15.1 habe ich soeben abgeschlossen – derweil mein Mac immer noch mit dem mehrere Gigabyte großen macOS Monterey-Update beschäftigt ist, mein iPad voller Ungeduld darauf wartet, an die Reihe zu kommen, und meine Apple Watch schon seit einigen Wochen im Rückstand ist, was Updates betrifft. Gelegentlich kann einen das Gefühl beschleichen, das Leben sei ein beständiger Strom von Updates: So verweigert mir mein Samsung Smart-TV den Genuss der neuesten Folge meiner Lieblingsserie, weil er gerade eine Aktualisierung durchführt, mein Hydrow-Rudergerät hat meinen Trainingstermin verschoben, weil es ein Systemupdate aufspielt, und neulich bat mich sogar meine Espressomaschine dringlich, ein «kritisches Systemupdate« durchzuführen, bevor ich mir meinen morgendlichen Kaffee aufbrühen würde.
Scheinbar sind wir aus einer Welt der alljährlichen (großen) Updates in eine Welt mit einer täglichen Flut von Mini-Updates, die oft mit so aussagekräftigen (und bündigen) Versionshinweisen wie »Bugfix« daherkommen, migriert. Ich glaube, dies steht für einen größeren Wandel innerhalb der IT-Branche und möglicherweise auch in unserer Gesellschaft. Wir haben die Vorstellung aufgegeben, dass ein Produkt, sobald es auf den Markt kommt, vollendet und einfach »fertig« ist. Vielmehr betrachten wir die Präsentation eines Produkts oder auch einer Dienstleistung heute lediglich als einen Schritt auf einer nie endenden Reise. Produkte werden heute nicht mehr vollendet – sie sind im Wandel begriffen, werden ständig überarbeitet und weiterentwickelt.
Ich fühle mich dabei an meine Zeit bei Mozilla erinnert, dem Hersteller des enorm beliebten Webbrowsers Firefox. Als ich 2007 zu Mozilla ging, hatten wir gerade Firefox 2 herausgebracht und arbeiteten an Firefox 3 – es war damals ein Arbeitsprozess und damit Produktzyklus von 18 Monaten. Die Änderungen, die von Version 2 auf 3 eingeführt wurden, waren gewaltig, die Liste der behobenen Fehler schien endlos, und die Fülle der neuen Funktionen war für Durchschnittsnutzer schlichtweg überwältigend. Jedes neue Release bedeutete noch einen großen, umjubelten Meilenstein. Als Google dann Chrome einführte, sollten sich die Spielregeln für immer ändern: Anstatt alle 12 bis 18 Monate punktuell große neue Programmversionen vorzulegen, brachte Google kleine, fortlaufende, inkrementelle Updates, die oftmals nicht mehr als ein paar Fehlerbereinigungen und lediglich eine einzige neue Funktionalität enthielten. Auf diese Weise konnte Google neu entwickelte Funktionen in kürzester Zeit an seine Kunden weitergeben und Fehler quasi in Echtzeit beheben – und damit so ganz nebenbei die Art und Weise verändern, wie wir über Software denken. Kurz nachgefragt: Welche Version von Chrome (oder Firefox, Safari oder Edge) verwenden Sie gerade? Die meisten von uns haben nicht die leiseste Ahnung – der Browser ist halt da (und wird ständig aktualisiert).
Ich glaube, am Ende wird das Schicksal einer jeden Software bzw. eines jeden softwaregestützten Produkts so ähnlich aussehen: Sofern ein Produkt über eine Internetanbindung verfügt und somit leicht zu aktualisieren ist, werden die Hersteller des Produkts wie auch die Anwender ständige Iterationen, Aktualisierungen, Weiterentwicklungen und Korrekturen erwarten und deren Umsetzung erleben. Grundsätzlich würde ich sagen, das ist großartig! – Allerdings birgt diese Entwicklung auch eine interessante Herausforderung: Wie erklärt man Anwendern neue Merkmale und Funktionen, wenn man ständig Updates liefert? Können Sie eigentlich sagen, worin sich iOS 14 und 15 unterscheiden? Oder 15 und 15.1? Verpassen Sie es manchmal, Funktionen zu nutzen, mit denen Sie schneller/besser/effizienter oder effektiver arbeiten könnten, nur weil Sie den Überblick verloren haben, was da überhaupt aktualisiert wurde? Über all diese Fragen denke ich weiter nach, während mein iPhone mit seiner Aktualisierung auf die neueste Version von iOS fortfährt.
Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren ein Start-up. Es folgten Stationen bei Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com