Message from Silicon Valley

Das Ende des Silicon Valley?

Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren ein Start-up. Es folgten Stationen bei Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com

Von Pascal Finette

Der COO des Prozessautomatisierungsanbieters Bill.com sagte mir wenige Monate nach Beginn der Pandemie im Sommer 2020: »COVID-19 hat unausweichliche Entwicklungen aufgegriffen und sie um 5-10 Jahre beschleunigt.« 

Beobachten konnten wir das am kometenhaften Aufstieg von Videokonferenz-Plattformen wie Zoom oder Tools für gemeinschaftliches Arbeiten wie Slack sowie an dem gigantischen und weiterhin andauernden Experiment, welches die Arbeit per Fernzugang darstellt. COVID-19 und die damit neue Art des Arbeitens, die sich damit einstellte, hat die Konturen der bisherigen räumlichen Grenzziehungen aufgeweicht. Das reicht von unseren Häusern auf der einen Seite, die zu Büros geworden sind (einschließlich Schlafzimmern, die kurzerhand zu videofreundlichen »Fernseh-Studios« umfunktioniert wurden), bis zu den Gebäuden, in denen unsere Unternehmen untergebracht sind, auf der anderen Seite. (Während einige von uns sie schmerzlich vermissen, können sich andere nicht vorstellen, jemals in ihr altes Büro zurückzukehren.)

Diese Verschiebungen offenbarten sich auch im großen Maßstab – und diese Entwicklung dauert an: Nachdem Unternehmen und Menschen erkannt hatten, dass sie sich nicht zwingend an einem bestimmten Ort befinden müssen, um ihren Geschäftstätigkeiten nachzugehen, geschah das Zwangsläufige (wenn auch für manche Undenkbare), und zwar um circa ein Jahrzehnt früher als es sonst wahrscheinlich passiert wäre: Menschen, aber auch Firmen, zog es raus aus dem Silicon Valley in Regionen mit niedrigeren  Kosten – dahin, wo die Lebensqualität höher ist oder die Steuern niedriger (und möglicherweise all dies zugleich). Oracle, Palantir, Hewlett Packard – alle diese Unternehmen verlegten ihren Hauptsitz in andere Landesteile. Unzählige Startups brachen ihre Zelte in den überteuerten Parzellen des Silicon Valley ab und zogen an Orte wie Austin in Texas oder Boulder in Colorado. Mitarbeiter der großen Tech-Firmen genießen nach wie vor ihren Work-from-anywhere-Lifestyle, wobei diese Unternehmen schnell darin sind, Richtlinien anzupassen, um diese neue Art des Arbeitens festzuschreiben, um weiterhin Talente binden und gewinnen zu können.

Ist damit das Silicon Valley nun also am Ende?

Nein. Ich glaube, was wir beobachten, ist die konsequente Weiterentwicklung zu dem, was ein Ort wie das Silicon Valley in Zukunft sein wird: Ein Konzept, eine Bündelung von Idealen, eine Community, ein Ort der Begegnung. Und während sich die Welt ins Netz und ins Virtuelle verschoben hat, hat auch das Silicon Valley diese Entwicklung vollzogen: Sie können an Ihrem Startup arbeiten, programmieren, entwerfen, testen, mit Kollegen zusammenarbeiten, einen Investor pitchen und Ihr Produkt einem Kunden vorführen – und zwar von jedem Ort aus, der eine vernünftige Internetverbindung bietet. Das ist faszinierend, bedeutet es doch nicht allein, dass Sie von dort aus arbeiten können, wo Sie wollen (und dies hoffentlich auf eine Art und Weise, die Sie glücklicher macht), sondern auch, dass wir Produkte und Dienstleistungen direkt vor Ort in den Communities entwickeln werden, in denen sie genutzt werden sollen.

Das Silicon Valley wurde (zu Recht) lange Zeit dafür kritisiert, dass es seine Lösungen im luftleeren Raum entwickelt – jene Lösungen, die in den durchgestylten Büros in Palo Alto, Mountain View oder San Francisco entworfen und mit kostenlos zur Verfügung gestellten veganen und glutenfreien Snacks aus den Miniküchen der Tech-Titanen genährt werden. In Zukunft werden wir Lösungen sehen, die im Café unten an der Straßenkreuzung entwickelt werden, und zwar für genau die Menschen, die dieses Café besuchen. Fügen wir noch die Chancen hinzu, die eine diversere Mitarbeiterschaft bietet – und schon sollten wir wirkliche Lösungen für echte Probleme erkennen.

Der König ist tot, es lebe der König.