Im Interview: Andreas Schelling

„Der Erfolg unserer Kunden ist unser Erfolg.“

Am 1. Januar hat Andreas Schelling den Vorsitz der Geschäftsführung der Finanz Informatik (FI) übernommen. Im Interview mit dem ITmagazin sprach er über anstehende Aufgaben und zukünftige Herausforderungen – nicht allein für die FI.

ITmagazin: Herr Schelling, seit gut 100 Tagen stehen Sie nun an der Spitze der Finanz Informatik. Wie haben sich Ihr Blick auf das Unternehmen und Ihr Arbeitsalltag seitdem verändert?

Andreas Schelling: Ich bin seit 2010 in der Geschäftsführung der Finanz Informatik tätig – mit der neuen Aufgabe ist mein Blick auf die FI jedoch deutlich globaler geworden. Als Vorsitzender der Geschäftsführung ist man viel stärker in die Gremienarbeit eingebunden und schaut natürlich jetzt noch einmal intensiver auf die Ausrichtung des gesamten Unternehmens. Es ist sehr interessant, gemeinsam mit meinen Geschäftsführer-Kollegen Detlev Klage, Michael Schürmann und Martin Waldmann Ideen für die Weiterentwicklung der FI zu diskutieren und unsere Strategie für die nächsten Jahre festzulegen. Was sich vielleicht in meiner neuen Rolle am stärksten verändert hat: Ich nehme mir noch bewusster Zeit, um im Team Konzepte zu entwickeln, mit denen wir unsere Kunden begeistern.

ITmagazin: Werfen wir einen kurzen Blick zurück: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre und wo stehen Sparkassen und FI heute?

Andreas Schelling: Man kann es sicher nicht oft genug hervorheben: Die erfolgreiche Konsolidierung und Vereinheitlichung der Sparkassen-IT und der Umbau unseres Kernbanksystems OSPlus zu einer digitalen Finanzplattform für die Sparkassen-Finanzgruppe sind das stabile Fundament aller weiteren Entwicklungen. In den vergangenen zehn Jahren haben wir OSPlus auch im Verbund etabliert und mit OSPlus_neo, der Internet-Filiale (IF) und der S-App eine digitale Finanzplattform etabliert, auf der sich alle 376 Sparkassen wiederfinden.

Wir haben viel Energie aufgewandt, um Verbundpartner, wie etwa die Deka, die Versicherungen und die Landesbausparkassen, immer tiefer in die Anwendungen und damit in die digitalen Kanäle zu integrieren. Seit 2020 nutzen zum Beispiel alle Landesbausparkassen (LBS) unsere Gesamtbanklösung. So können unsere Kunden und wir heute sagen: Mit der Internet-Filiale, der S-App und den OSPlus_neo-Standardprozessen haben wir einen Stand erreicht, dass die digitale Finanzplattform von der Filiale über das Kunden-Service-Center bis zum Smartphone des Kunden im Markt fest etabliert ist.

Das ist jedoch kein Grund, sich auf dem aktuell Erreichten auszuruhen. Die Corona-Pandemie zeigt uns vielmehr allzu deutlich, wie wichtig neben der Filiale ein zweites »Online«-Standbein ist. Mit Blick auf viele andere Branchen kann ich nur feststellen: Wohl dem, der ein solches im Markt etabliert hat! Allerdings hat die Pandemie diese Entwicklung nur beschleunigt, nicht ausgelöst. Es bleibt deshalb extrem wichtig, dass wir uns noch stärker auf die digitalen Kanäle ausrichten – ganz einfach deshalb, weil die Welt digitaler wird.

ITmagazin: Sie geben uns das Stichwort: Wie hat Corona das Arbeiten in der FI wie auch in den Sparkassen verändert?

Andreas Schelling: Unsere gut 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derzeit überwiegend im Homeoffice und arbeiten zu weit über 80 Prozent remote – wie bereits im ersten Lockdown im letzten Frühjahr. Bei uns, wie auch bei vielen anderen in der Sparkassen-Finanzgruppe hat die Pandemie zu einer spürbar gestiegenen Nachfrage nach digitalen Angeboten und Prozessen geführt. Das sehen wir auch in der Kundenberatung: Hier setzen die Institute inzwischen wesentlich stärker auf Videoberatung oder auf durchgehend digitale Prozesse, für die ihre Kunden nicht mehr in die Filiale kommen müssen.
Es ist für viele Menschen bereits selbstverständlich geworden, alltägliche Dinge digital zu erledigen – für die Sparkassen ist es entscheidend, ihre Kunden mit den Angeboten in der Internet-Filiale und der S-App zu überzeugen und an sich zu binden. Aktuell gibt es 24 Mio. Online-Banking-Kunden, davon nutzen 12,8 Mio. das Angebot in der Internet-Filiale und rund 11 Mio. die S-App. Das ist zweifelsohne ein beeindruckender Wert – wenn wir aber an die über 40 Mio. Kunden der Sparkassen insgesamt denken, dann bleibt da noch Luft nach oben.

ITmagazin: Große Wachstumsschübe beim Umsatz und der Kundenzahl waren – lange vor Corona – stets das Kennzeichen der »großen Vier«: Google, Amazon, Facebook und Apple. Worauf führen Sie das zurück und was könnte man sich davon abschauen?

Andreas Schelling: Ich möchte an dieser Stelle keine Werbung für die genannten Plattformen machen oder deren höchst unterschiedliche und zum Teil auch umstrittene Geschäftsmodelle bewerten. Mir geht es vor allem um folgenden Aspekt: Über die Jahre hinweg sind deren Nutzer bzw. Kunden immer anspruchsvoller geworden. Das ist kein Wunder: Gerade von diesen Technologiekonzernen sind wir einfache, schlanke und auch bequeme Prozesse gewohnt. Apps werden heute wie selbstverständlich aus den Stores aufs Smartphone geladen, bei Bedarf aktualisiert und ohne jede weitere Schulung oder Einführung einfach genutzt.
Es ist doch völlig nachvollziehbar, dass die Kunden der Sparkassen diese über Jahre gemachten Erfahrungen auf uns übertragen. Sie erwarten von uns kundenzentrierte, schlanke Prozesse und Anwendungen, die einfach, sicher und bequem sind. Und wenn es darum geht, Kunden zu begeistern und damit an sich zu binden, ist Apple immer noch der unerreichte Klassenbeste. Quasi nebenbei aktualisieren Nutzerinnen und Nutzer regelmäßig Apps auf iPhone, iPad & Co., machen alle paar Monate ein größeres Update des Betriebssystems – daran hat sich jeder gewöhnt, es wird akzeptiert und ist keine große Sache mehr.
Diese Kernidee wollen wir auch auf uns, auf OSPlus in den Filialen und die digitalen Kundenkanäle, übertragen.

ITmagazin: Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die FI?

Andreas Schelling: Es reicht aus unserer Sicht nicht mehr, eine fachlich korrekte Anwendung zu entwickeln. Die FI steht am Anfang einer neuen Phase, in der wir uns sehr viel stärker und vor allem konsequenter auf die Anforderungen der Kunden in einer digitalen Welt ausrichten müssen. Wir haben deshalb als ein Ziel definiert, dass wir die FI zum Digitalisierungspartner der Sparkassen und des Verbundes mit Standardlösungen, die Kunden begeistern, weiterentwickeln wollen.
Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgen wir drei strategische Leitlinien: die Kunden begeistern, den Verbund stärken und die Dynamik steigern. Das mag vielleicht einfach klingen oder aussehen – aber darin ist auch eine Botschaft bzw. Aufgabe für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthalten. Wir werden mit unseren IT-Dienstleistungen und Anwendungen nur dann erfolgreich sein, wenn wir diese ganzheitlich auf die Kunden und den Verbund ausrichten.
Setzen wir uns doch einmal »bildlich« auf den Stuhl einer Beraterin oder eines Beraters in einer Sparkasse – ganz egal, wie groß das Institut ist. Wie müssen wir eine Anwendung bauen, um diese Kundin oder diesen Kunden zu begeistern? Wir werden diese Kunden nur dann begeistern, wenn unsere Lösung einfach ist, echten Mehrwert bietet und überall schnell in den Häusern eingesetzt werden kann. Wir verknüpfen den Erfolg unserer Anwendungen und IT-Dienstleistungen an dieser Stelle mit dem Erfolg unserer Kunden. Oder noch einfacher ausgedrückt: Der Erfolg unserer Kunden ist unser Erfolg.

ITmagazin: Sie skizzieren damit nicht allein veränderte Aufgaben, sondern einen regelrechten Wertewandel?

Andreas Schelling: Ja, vieles davon betrifft zunächst wie angesprochen einen internen Wandel bei der FI selbst: bei unserem Selbstverständnis, unserer Kultur, unserer Zusammenarbeit aber auch bei Abläufen und Verantwortlichkeiten. Das machen wir allerdings nicht zum Selbstzweck, sondern weil es für die Sparkassen eine so übergeordnete Bedeutung hat und deutlich macht, was wir mit »Digitalisierungspartner« meinen.

Wenn wir erreichen wollen, dass Sparkassen unsere Anwendungen schneller in der Breite nutzen, können wir auch in diesem Zusammenhang einiges von Apple lernen. Das kalifornische Unternehmen hat wie wir eine breite technologische Basis mit Smartphones, Tablets, Laptops und PCs und stellt für diese regelmäßig iOS-Releases mit neuen technischen Funktionen und wichtigen Sicherheitsfeatures bereit. Gleiches gilt für viele Anwendungen im App-Store, die sehr häufig nach einem Update von Apple mit ihren Apps nachziehen.

Doch zurück zu uns: Was könnten wir davon in unsere Welt mit den zwei großen Release-Einsätzen pro Jahr eigentlich übertragen? In der FI ist ein Team damit beauftragt, beide Welten zu vergleichen und Maßnahmen abzuleiten – ein sehr spannender Prozess! Wir wollen unsere OSPlus-Releases auf unserer Plattform so umgestalten, dass diese sehr viel einfacher und mit deutlich weniger Aufwand eingesetzt werden können.

Zwei Projekte möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen: Wenn wir die Möglichkeit bekommen, dass wir neben den OSPlus_neo-Anwendungen auch für die Definition und Beschreibung der kundenzentrierten Standardprozesse gemäß PPS 2.0 verantwortlich sind, werden wir den Sparkassen – gemeinsam mit unseren Partnern im Verbund – zukünftig Standardprozesse, Anwendungen und Standardparameter in einem Paket so gebündelt bereitstellen, dass diese schneller, einfacher eingeführt und genutzt werden können. Das wird nicht von heute auf morgen gehen – die Idee eines zentralen »OSPlus-Stores« mit Paketen für Sparkassen und für Endkunden in der Internet-Filiale und der S-App hätte jedoch viele Vorzüge.

Ein wesentliches Ziel des DSGV-Projekts PPS 2.0 ist zudem, die Prozessentwicklung in Qualität und Geschwindigkeit zu verbessern und den Sparkassen und ihren Kunden leicht anwendbare, schlanke und verbindliche Standardprozesse an die Hand zu geben. Wenn wir die FI aus Sicht der Kunden weiterentwickeln wollen, dann müssen wir eine neue End-to-End-Verantwortung über alle Prozessschritte auch in unserem Unternehmen verankern.

Das bedeutet konkret, dass zukünftig verschiedene Fachbereiche der FI, Verbände, Sparkassen und Partner im Verbund zusammenarbeiten – von der Anforderung, über die Entwicklung zur lauffähigen Standard-Lösung bis hin zur Einführung und dem Betrieb. Die Geschäftsbereiche der FI werden diese Standard-Lösungen über alle Prozessschritte hinweg ganzheitlich – aus Sicht des Kunden von einem Ende zum anderen – und mit messbarem Erfolg verantworten.

ITmagazin: Welche aktuellen Anwendungen waren und sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig für den Vertrieb in den Sparkassen?

Andreas Schelling: OSPlus_neo ist mit monatlich 6,6 Mio. Prozessaufrufen aus der Beratung in der Sparkassen-Filiale nicht mehr wegzudenken. Im Januar wurden von den Kunden der Sparkassen in der Internet-Filiale und der S-App 7,8 Mio. Prozessaufrufe in OSPlus_neo getätigt. Als wir vor fast fünf Jahren erstmalig einen Prototyp für die Beratung in der Filiale – und später in der Internet-Filiale und der S-App – vorgestellt haben, konnten wir nicht ahnen, welchen Stellenwert diese Entwicklung haben würde.

Im Dezember haben Kunden bereits über 440.000-mal einen OSPlus_neo-Prozess für eine Konto- und Depoteröffnung, für Wertpapier-Käufe oder für einen Konsumentenkredit erfolgreich online abgeschlossen. Doch auch hier gibt es noch eine Menge Luft nach oben: Welche Schlüsse ziehen wir etwa aus Abbrüchen durch Endkunden oder wie gehen wir technisch mit der Situation um, dass die Endkunden möglichst wenige Eingaben machen wollen und wir häufig deutlich mehr Eingaben aus regulatorischer Sicht benötigen?

Unser Ziel ist, dass wir mit weiteren Optimierungen und neuen Angeboten in zwei Jahren eine Million Produktabschlüsse über die Internet-Filiale und die S-App erreichen.

ITmagazin: Wie hilft die FI den Instituten konkret im Vertrieb und auf der Kostenseite?

Andreas Schelling: Mit dem Ausbau der digitalen Kanäle, etwa mit einfachen und schlanken Serviceprozessen und automatisierten Prozessen in der Marktfolge, wollen wir die Sparkassen dabei unterstützen, sich stärker auf andere Tätigkeiten wie den Vertrieb zu fokussieren.
Denn eines ist doch völlig klar: Eine Anschrift ändern, ein Wertpapier kaufen oder verkaufen oder einen kleinen Konsumentenkredit abschließen – viele Kunden wollen dies heute selbstständig rund um die Uhr und direkt online erledigen.
Für wichtige und langfristige Entscheidungen des Lebens, wie etwa die Altersvorsorge, eine passende Baufinanzierung oder eine größere Geldanlage wird auch in Zukunft die Beraterin oder der Berater in der Sparkasse der entscheidende Bezugspunkt für die Kunden bleiben.

Auf der Kostenseite werden wir weiter daran arbeiten, mit Standardisierung und Automation, mit Skaleneffekten im Bereich IT-Service und Infrastruktur, unseren Beitrag zu leisten.
Beispielhaft möchte ich hier ein kürzlich abgeschlossenes Projekt aus dem Bereich »ITServicesComfort« (ITSC) erwähnen: Mit der Verlagerung des operativen IT-Betriebs der Sparkasse KölnBonn und der Kreissparkasse Köln zur FI sind wir vollumfänglich für die technische Infrastruktur von über 9.000 Arbeitsplätzen in den beiden Häusern zuständig. Das ist eine große Verantwortung und drückt zugleich das Vertrauen aus, das die beiden Sparkassen in unsere Leistungsfähigkeit haben.

ITmagazin: Wir alle hoffen, dass das Thema »Corona« in absehbarer Zeit an Bedeutung verliert. Welche Rolle wird dann das Thema »Nachhaltigkeit« für die FI spielen?

Andreas Schelling: Ein nachhaltiger Umgang mit unseren Ressourcen, der gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Prinzipien folgt, ist Teil unserer Unternehmensstrategie und fest als Ziel verankert. Insofern kann ich nicht sagen, dass Corona dies überlagert hat. Im Gegenteil, wir haben auch in den letzten Monaten zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um unserer Verantwortung als Unternehmen gerecht zu werden.
Nehmen wir z. B. den Stromverbrauch: Er ist FI-weit auf Ökostrom umgestellt; bis 2022 werden wir das weiter ausbauen auf die höchste Stufe, die es dort gibt. Pro Jahr sparen wir damit 36.000 Tonnen Kohlendioxid ein.
Oder schauen wir auf die Mobilität: Neben der Unterstützung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Nutzung des ÖPNV, haben wir Jobfahrräder eingeführt und wollen auf Flüge bei Dienstreisen durch die Nutzung von digitalen Lösungen so weit wie möglich verzichten.
Wir schauen uns auch interne betriebliche Prozesse an: Wo können wir zum Beispiel das Personalwesen noch stärker digitalisieren? Die Gehaltsabrechnung kommt papierlos und einen Einstellungstest für Auszubildende kann man auch gut digital durchführen.
Und bitte vergessen wir auch hier nicht unsere Kunden: Hier haben wir mit dem Elektronischen Postfach, dem Wegfall vieler Vordrucke durch eine intelligente Steuerung in unseren OSPlus_neo-Prozessen und die jetzt beginnende Umstellung des bisherigen Kurierversands ebenfalls messbare Effekte erreicht.

ITmagazin: Herr Schelling, wir haben viel über digitale Themen gesprochen. Deshalb möchten wir Ihnen zum Schluss eine Frage stellen, die wir auch unseren Interviewpartnern im FI-Podcast »Alles digital?!« immer abschließend stellen: Was machen Sie weiterhin am liebsten analog?

Andreas Schelling: Da gibt es sicher einiges – ich bin zwar von Haus aus Physiker und interessiere mich leidenschaftlich gern für Technik. Aber ein Treffen mit guten Freunden, dazu ein guter Tropfen Wein – das ist digital nur schwer zu ersetzen. Wir alle nutzen aktuell mehr denn je Video-Konferenzen; ein echtes, persönliches Gespräch, mit all seinen Facetten und Zwischentönen, wird man dadurch allerdings nie ersetzen können.

ITmagazin: Herr Schelling, vielen Dank für das Gespräch.