Schöne digitale Welt?

Literatur-Tipp

Vielleicht werden sich folgende Generationen genau diese Frage stellen: Wann war eigentlich der Wendepunkt? Weg von einer Welt, in der das Internet zwar nicht die Lösung für alle Probleme, so doch für viele davon versprach? Als es gewissermaßen seine Unschuld verlor und heute in einigen Bereichen zum Synonym für eine Dystopie der totalen Überwachung oder einem Ort abstruser Weltsichten geworden ist. Dabei hat es im Netz noch nie so viel frei verfügbares Wissen für alle gegeben. Enzyklopädien, wissenschaftliche Studien und Archive tragen wir in der Hosentasche überall mit uns herum. Zugleich wächst die Zahl derjenigen, die ernsthaft glauben, die Erde sei eine flache Scheibe. Das mag naiv klingen und erscheint im Vergleich zu vielen anderen Verschwörungstheorien im Netz schon beinahe amüsant. Doch warum ist das so? Wann fing es an, dass einzelne Tweets und Posts mit der Schlagkraft der Algorithmen sozialer Medien eine Aufmerksamkeit erreichten, um die heute selbst ein öffentlich-rechtliches Format wie die »Tagesschau« mit rund 11 Mio. Zuschauern täglich kämpfen muss? Wer von uns kannte eigentlich vor dem 18. Mai 2019 den YouTuber »Rezo«, dessen provokantes Video »Die Zerstörung der CDU« bis heute allein über 18 Mio. Aufrufe erzielte? Warum ist das so und wie konnte es so weit kommen?
Diesen Fragen gehen die namhaften Autoren in »Schöne digitale Welt« – u. a. Sascha Lobo, Miriam Meckel und Ranga Yogeshwar – nach, ohne ihren Glauben an einen noch vorhandenen digitalen Humanismus aufzugeben. Das mag bei einem Journalisten wie Richard Gutjahr, seit dem Anschlag von Nizza gemeinsam mit seiner Familie selbst Opfer nicht enden wollender Verschwörungstheorien, erstaunen. Zugleich vermittelt es Hoffnung darauf, dass ein Wendepunkt zum Besseren noch möglich ist.

Schöne digitale Welt

Bernhard Pörksen / Andreas Narr (Hrsg.)
Herbert von Halem Verlag, 2020
218 Seiten
21,00 Euro
ISBN 978-3-86962-477-8