Eine spannende Zeit

Kolumne Pascal Finette

Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren ein Start-up. Es folgten Stationen bei Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com.

 

Eine spannende Zeit

Vor kurzem ist mir bei einem Spaziergang durch die Straßen von San Francisco etwas ganz Sonderbares aufgefallen: Es war nicht die Abwesenheit des üblichen Sommernebels, auch nicht die außerordentliche Hitze, die in krassem Gegensatz steht zu Mark Twains berühmtem Zitat: »Der kälteste Winter, den ich je erlebt habe, war der Sommer, den ich in San Francisco verbrachte«. Nein: Es war das völlige Fehlen von Menschen und die damit einhergehende, unheimliche Stille, die vielleicht einen enormen Wandel in der (Tech-)Welt ankündigen könnte.

Die durch COVID-19 bedingten Kollateralschäden reichen tief in das Herz des Technologie-Ökosystems hinein. Wenn Firmen wie Google, Apple, Facebook und Twitter sich gezwungen sehen, in die Welt der Telearbeit überzusiedeln, und wenn sie erst unlängst Entscheidungen getroffen haben, dass dies mindestens noch ein weiteres Jahr so anhalten soll, dann erleben wir damit eine beispiellose Veränderung. Die einst so coolen, hippen, trendigen, mit allerlei Nebensächlichkeiten überfrachteten Büros der Tech-Elite stehen heute als leere Hüllen da. Einige von ihnen sind in einer Art und Weise konstruiert, die mit der Realität einer globalen Pandemie und den damit verbundenen Geboten des Social Distancing gänzlich unvereinbar ist. Ob es sich um Open-Space-Büros handelt, die sich in der heutigen Welt schlichtweg wie die falsche Entscheidung anfühlen, oder um Wolkenkratzer wie den Salesforce-Tower in San Francisco mit Aufzugssystemen, die nie für eine Welt gedacht waren, in der wir zwei Meter Abstand zur nächsten Person einhalten müssen – es leuchtet ein, warum die Giganten der Technologiebranche es vorziehen, ihre Büros geschlossen zu halten. Kombiniert man diese Erkenntnis mit der Tatsache, dass der größte Teil der Arbeit, die von den weltweit wertvollsten und einflussreichsten Unternehmen geleistet wird, von Menschen geleistet wird, die fieberhaft auf Laptops herumtippen, und dass es sich also um Arbeiten handelt, die problemlos von einem beliebigen Ort mit einer anständigen Internetverbindung irgendwo auf der Welt erledigt werden können, dann sieht man mitten ins Auge des Sturms... Nicht zu vergessen ist obendrein, dass Silicon Valley schon seit langem der teuerste Ort ist, an dem man in den USA leben kann.

Schon jetzt verursacht all dies einen Massenexodus von Talenten in andere Gegenden des Landes (und in einigen Fällen sogar der Welt). Entwickler ziehen dichter an die Wurzeln ihrer Familien, Marketingfachleute entscheiden sich für Regionen mit einer höheren Lebensqualität, und junge Familien finden in anderen Teilen des Landes bessere, größere Wohnungen und Häuser zu wesentlich günstigeren Preisen. Somit entwickelt sich der Begriff »Silicon Valley« zunehmend zu einer Denkweise (und vielleicht auch Lebensweise) und ist immer weniger an einen konkreten Ort gebunden.

Für mich persönlich stellt dies den beschleunigten Aufschwung zur Hochphase eines unvermeidlichen (und spannenden) Trends dar. Es spielt heute wirklich keine allzu große Rolle mehr, ob Sie in Berkeley/Kalifornien, Bochum/NRW oder Bhopal/Indien sind, – solange Sie nur über eine gute Internetverbindung verfügen, können Sie überall auf der Welt an den Dingen bauen, auf die es wirklich ankommt. Diese Entwicklung wird zu einer weitergehenden Demokratisierung und breiteren Verteilung von Talenten, Ideen und Start-ups führen – und das Geld wird folgen. Es ist wahrhaft eine spannende Zeit, in der wir leben.