Die Kolumne von Pascal Finette

Gesund statt krank!

 

ITmagazin 2/2019

Von Pascal Finette

Seit Menschengedenken lag der Aufgabenschwerpunkt des Gesundheitswesens darin, den Kranken der Gesellschaft zu helfen (im Idealfall in der Hoffnung, sie zu heilen). Anfangs ging es in der Behandlung vor allem darum, Leiden zu mildern und Symptome zu lindern. Seit Louis Pasteur und der späteren Entdeckung des Penicillins verlagerte sich der Fokus auf die Bekämpfung der eigentlichen Ursachen einer Krankheit und auf die Heilung der Patienten. Mit den Schutzimpfungen hat die Menschheit einen weiteren Schritt in die Richtung der Präventivmedizin getan. Und an dieser Stelle sind wir die letzten paar Jahrzehnte stehen geblieben: Bis heute werden die meisten Beschwerden dann behandelt, wenn sie akut vorliegen – anstatt, dass man verhindern würde, dass sie überhaupt erst auftreten.
Aber nun stehen wir endlich vor einer grundlegenden Veränderung – und wir machen einen riesigen Sprung vorwärts: erstmals in der Geschichte der Menschheit aus einer Ära der Krankenversorgung hinüber in ein präventives Gesundheitswesen, das seinen Namen wahrhaft verdient. Im aktuellen Gesundheitswesen spielt Technologie heute eine ebenso große Rolle wie menschliche Interventionen, möglicherweise sogar eine noch größere. Bahnbrechende Innovationen ergeben sich heute nicht mehr nur aus den traditionellen Vorposten der Gesundheitsforschung wie den großen Pharmakonzernen und Universitäten, sondern immer häufiger auch aus Startups und aus verwandten Branchen.

Künstliche Intelligenz verändert eine Branche nach der anderen, einschließlich des Gesundheitswesens. Bereits heute diagnostizieren KI-Systeme Melanome, die zu Hautkrebs führen können, besser als die überwiegende Mehrheit der Humandermatologen. Indem wir immer ausgefeiltere neuronale Netze für viele andere Krankheiten trainieren, rückt der Tag, an dem Sie Ihre routinemäßige Diagnostik von einer künstlichen Intelligenz bekommen werden, immer näher. Und natürlich wird Künstliche Intelligenz auch dafür sorgen, dass die Prozesse im Backend einer jeden Gesundheitseinrichtung schneller, effizienter und effektiver werden.
Mit im Übermaß vorhandener Rechenleistung und Sensoren können Sie mit Ihrem Smartphone medizinische Diagnostik der Spitzenklasse in Ihre Tasche stecken. Apples jüngstes Uhrenmodell beispielsweise verfügt über integrierte Elektrokardiographie (EKG) in Profiqualität – und das in einem Gerät, das für weniger als 500 Euro im Handel erhältlich ist. So haben Sie jederzeit und an jedem Ort Zugang zu einem Gerät, das oftmals nicht einmal Ihr Arzt in der Praxis haben dürfte. Doch dies ist nur der Anfang: Wir werden in den nächsten Jahren noch viele weitere Diagnosegeräte zu Verbraucherpreisen auf den Markt kommen sehen. Damit bekommt der Normalverbraucher nicht nur Zugang zu medizinischer Diagnostik, sondern diesen bekommt er kontinuierlich, auf Schritt und Tritt. Während Sie heute noch einen einzelnen Datenpunkt erhalten, indem Sie sich zum Arzt begeben und Ihre Vitalwerte messen lassen, werden Sie schon in naher Zukunft mit Hilfe Ihres Telefons und preiswerter Sensoren dauerhaften Einblick in alle diese Datenpunkte haben.
Durch die Kombination aus Smartphones, Sensoren und künstlicher Intelligenz werden Sie sofortigen und kontinuierlichen Zugang zu einer Diagnostik haben, die mindestens so gut und oft besser sein wird als die der besten Ärzte von heute. All dies wird es uns ermöglichen, Krankheiten und sogar die ersten Anzeichen möglicher Erkrankungen viel früher zu erkennen. Das heißt, wir werden bald in der Lage sein, individuelle Empfehlungen zu geben, um Krankheiten tatsächlich zu verhindern und die Wirksamkeit einer jeden Maßnahme unmittelbar zu messen.
Und als ob dies nicht schon genug wäre, werden wir außerdem endlich das komplexe Zusammenspiel verstehen, das zwischen unseren Genen, unserem Phänotyp und unserem Mikrobiom herrscht. (Letzteres stellt die Gesamtheit aller Bakterien dar, die in und auf uns leben - immerhin stammt mehr als die Hälfte der DNA, aus der »Sie« bestehen, aus Ihrem Mikrobiom.) Dieses neu gewonnene Verständnis und diese Erkenntnisse werden im Gesundheitswesen eine Revolution auslösen, die wir uns heute nur im Ansatz vorstellen können.
Früher ging es im Gesundheitswesen um die Versorgung von Kranken. In der Zukunft besteht die Aufgabe des Gesundheitswesens darin, sicherzustellen, dass Sie gar nicht erst krank werden. Dann kann sich das Gesundheitswesen erst vollständig um die Gesundheit und nicht um Krankheiten kümmern.

Pascal Finette berichtet regelmäßig für das ITmagazin aus dem Silicon Valley. Er zählt zu den Internet-Pionieren in Deutschland und gründete in den 90er-Jahren ein Start-up. Es folgten Stationen bei Ebay und Google. Heute ist er Executive Director der Singularity University, einem kalifornischen Think Tank, der Bildungsprogramme entwickelt und Jungunternehmer »auf die digitale Revolution« vorbereitet. Mehr zu ihm unter www.finette.com