Markus Rex

Eingefroren am Nordpol

»Die Arktis ist quasi unser Vorgarten.«

Im Fokus

Die größte Arktisexpedition aller Zeiten

Nur wenn wir den Klimawandel stoppen, können wir auch das Verschwinden des Arktischen Eises verhindern und das Eis retten.

 

„Warm anziehen!“ Klimaforscher Markus Rex bricht in die Arktis auf. Rex ist Leiter der Atmosphärenforschung des Alfred-Wegener-Instituts am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und Professor für Atmosphärenphysik an der Universität Potsdam. Er hat bereits unzählige Expeditionen in die Arktis, Antarktis und andere entlegene Regionen der Welt unternommen, bevor er 2019 gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 37 Nationen an Bord der „Polarstern“ ein Jahr lang die Auswirkungen des Klimawandels untersuchte. Was er bei der MOSAiC-Expedition erlebte, hat ihn tief geprägt. Die Erlebnisse und Erkenntnisse dieses einmaligen Forschungsabenteuers beschreibt er in seinem Buch „Eingefroren am Nordpol“, ebenso wie in seinen packenden Vorträgen.

Mit gewaltiger Forschungs-Infrastruktur startet Rex die Expedition. Die wissenschaftliche Crew will sich im Eis gefangen nehmen lassen. Denn auch modernste Eisbrecher können nicht durch das dicke Eis hindurchstoßen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertrauen sich der natürlichen Eisdrift an und lassen sich durch die Arktis treiben. Auf eine stabile Eisscholle bauen sie ihr wissenschaftliches Camp wie eine kleine Stadt. Am 4. Oktober 2019 schalten sie die Maschinen der Polarstern ab. Der letzte Sonnenstrahl verblasst. Die Polarnacht hält Einzug und wird bis Februar alles in völlige Dunkelheit hüllen. Die Forscherinnen und Forscher sind nun auf sich allein gestellt, weit weg von allen anderen Menschen und auch außer Reichweite aller Langstrecken-Helikopter.

 

Rückblende: Schon seit Beginn der 90er Jahre ist Rex zu Forschungszwecken in die Arktis gereist. Wo er früher nur Schnee und Eis gesehen hat und sich nur auf Ski oder mit dem Schneemobil fortbewegen konnte, plätschert heute das Wasser. Der Wandel der Arktis ist dramatisch. Die Abbruchkanten der Gletscher ziehen sich erheblich zurück, das Eis verschwindet. Die Erwärmung der Erde ist in der Arktis am ausgeprägtesten. Das beeinflusst auch das Klima in unseren Breiten.

 

Denn die Arktis ist quasi unser Vorgarten. Der Temperaturkontrast von kalter Arktis und wärmeren mittleren Breiten treibt das Hauptwindsystem der Nordhemisphäre an. Dieses sogenannte Westwindband prägt bei uns das Windgeschehen. Wenn sich die Arktis schneller erwärmt, nimmt entsprechend der Temperaturkontrast ab und der Motor für unser Windgeschehen fängt an zu stottern. Die Folge sind instabile Phasen: Es kommt zu stationären, extremen Hitzephasen und außergewöhnlich schneereichen Kaltphasen im Winter.

 

Im Eiscamp haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 100 Tonnen wissenschaftliche Ausrüstung. Sie bauen ein Netzwerk mit Messstationen auf dem Eis im Umkreis von 50 Kilometern der Polarstern auf. Aber die Kälte macht das Arbeiten schwierig: Die Temperatur liegt bei minus 40 Grad, mit Wind gefühlt bei minus 65 Grad. Schwere Stürme und Begegnungen mit Eisbären sind zusätzliche Herausforderungen.

Dann überrollt im März 2020 die Corona-Pandemie die Welt und Rex und sein Team müssen innerhalb kürzester Zeit einen neuen Plan aufstellen, um die Versorgung sicherzustellen.

 

Bevor der nächste Winter mit nächster Gefrierphase beginnt, nehmen sie Abschied, am 20. September 2020. Von ihrer Expedition bringen die Forscherinnen und Forscher unfassbare Mengen an Daten mit zurück: Sie können dokumentieren, dass die Temperaturen im Winter durchgehend 10 Grad höher sind als bei einer Expedition Fridtjof Nansens vor 130 Jahren. Im Sommer haben sie ein weiträumiges, massives Schmelzen des Eises gesehen. Wenn diese Entwicklung so rasant weiter geht, wird die Arktis in wenigen Jahren im Sommer eisfrei sein. Dann wäre ein Teufelskreislauf zu befürchten. Denn erwärmt sich die Arktis im Sommer stärker, könnte das im Winter die Eisbildung unterdrücken. Die Frage ist: Können wir das arktische Eis noch retten? Immerhin: Im Winter ist die Neueisbildung noch gesund. Wir haben noch ein kurzes Zeitfenster, um das arktische Eis zu retten. Nur wenn wir den Klimawandel stoppen, können wir auch das Verschwinden des Arktischen Eises verhindern und das Eis retten.

 

 

Prof. Dr. Markus Rex ist Leiter der Atmosphärenforschung des Alfred- Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

und Professor für Atmosphärenphysik an der Universität Potsdam. Unter seiner Leitung findet 2019 die MOSAic-Expedition statt – mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 37 Nationen werden ein Jahr lang die Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis untersucht. Markus Rex studierte an der Technischen Universität Braunschweig Physik, Geophysik und Meteorologie. 2013 habilitiert er sich an der Universität Bremen. Er ist viele Jahre am Jet Propulsion Laboratory der NASA tätig, am California Institute of Technology in den USA und an der University of Canterbury in Neuseeland. 2020 wird er vom Nature-Magazin als einer von weltweit fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgeführt, deren Arbeiten man im Auge behalten sollte. Im gleichen Jahr wird er mit dem SEADEVCON Maritime Award ausgezeichnet.

Zitat

»ES IST WICHTIG, DASS WIR UNS KLAR MACHEN: DA GIBT ES UNFASSBAR VIELE MÖGLICHKEITEN IN DIESEM LEEREN ZUKUNFTSRAUM. DIE MÜSSEN WIR JETZT AUSGESTALTEN.«

Im Gespräch

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Zukunft hören?

Zukunft ist erstmal ein großer leerer Raum, den wir – analog zu anderen Räumen – einrichten können und müssen. Wir haben viele, viele Freiheiten, ihn auf die eine oder andere Weise zu füllen. Und nur wenn wir in der Lage sind, uns vorzustellen, wie die Einrichtung (das Zukunftsinventar sozusagen) in diesem Raum aussehen könnte, können wir den Raum aktiv nach unseren Wünschen gestalten. Ansonsten passiert Zukunft ungeplant oder wird nur von einigen wenigen Menschen gestaltet.

 

Wenn Sie sich vorstellen, dass wir 10 Jahre in die Zukunft reisen: Was hat sich im Vergleich zu heute verändert?

Meine Arbeit findet in Grenzbereichen statt. In diesen Bereichen müssen nicht nur die Maschinen gewartet, sondern auch die Menschen in Extrembedingungen am Leben gehalten werden. Deswegen werden wir in Zukunft sehr viel mehr autonome Robotik einsetzen, die in Regionen wie der Arktis oder der Tiefsee aktiv ist und selbst Forschung betreibt, ohne dass ein Mensch als Babysitter vor Ort benötigt wird. Der zweite große Aspekt, der sich verändert haben wird, ist, dass wir ganz viel Künstliche Intelligenz einsetzen werden. Dadurch werden wir Prozesse in Klimamodellen abbilden können, die mit den klassischen numerischen Rechenmethoden viel zu aufwendig abzubilden wären.

 

Reisen Sie in so einer technologisierten Zukunft noch in die Arktis?

Ich denke ja, auf jeden Fall. Man wird nicht alles autonom machen können. In zehn Jahren, so leid es mir tut, wird die Arktis eine ganz, ganz andere Welt sein. Klimaschutz wird dabei ein genauso aktuelles Thema bleiben. Mit Blick auf die Finanzwelt haben die Menschen in dieser Zukunft ein zunehmendes Interesse daran zu verstehen und zu beeinflussen, was mit ihrem Geld, mit ihrer Investition geschieht. Dazu braucht es viel Beratung und gute Erklärungen darüber, wie wir mit diesen Investitionsentscheidungen Prozesse, die uns wichtig sind, anstoßen können.

 

 

Über Zukunft nachdenken

Der Zukunftsraum

Aus der Gegenwart kommend können wir Zukunft als leeren Raum verstehen. Diese Leere ermöglicht es uns, den Raum mit unseren Vorstellungen zu füllen oder einzurichten, wie Markus Rex sagt. Damit sich in Zukunft möglichst viele Menschen in diesem Raum wohlfühlen, ist es wichtig, bei der Ausgestaltung auch möglichst viele Perspektiven einzufangen. Erst dadurch wird die Vielzahl von Optionen sichtbar, die wir haben.