Fränzi Kühne

Mut statt Macht

»Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.«

Im Fokus

Es braucht Mut, sich zu verändern. Wenn man immer nur Dinge tut, die einem leicht fallen, kommt man nicht von der Stelle.

Ein kurzer Filmausschnitt spricht Bände: Fränzi Kühne interviewt Gregor Gysi. Auf die Frage, ob man ihn schon einmal wegen seiner optischen Attribute befördert habe, reagiert Gysi sichtlich konsterniert: „Wegen was??“ Denn Fragen nach dem Aussehen werden Karrieremännern üblicherweise nicht gestellt – Frauen jedoch fast immer. Fränzi Kühne kennt das aus persönlicher Erfahrung. Sie hat Deutschlands erste Social-Media-Agentur gegründet, ist Digitalunternehmerin und Autorin des Buches mit dem markanten Titel: „Was Männer nie gefragt werden: Ich frage trotzdem mal“.

Die Gender-Debatte hat sie mit ihrem Buch vorangetrieben. Als Unternehmerin fordert sie mehr Mut statt Macht und die Bereitschaft zu echter Veränderung. Früher bedeutete Führung Hierarchie ausüben, Macht haben und Vorbild sein an Leistung, Durchhaltevermögen und Professionalität. Um heute Veränderung zu gestalten, brauche es unterschiedliche Sichtweisen und gelebte Diversität. „Change is coming – whether you like it or not!“ Eine Quotenfrau reicht nicht, schließlich zeigen Studien, dass sich die Tiefenstruktur und Dynamik von Teams erst ab einem Frauenanteil von 30 Prozent in einem Unternehmen verändert.

Business Innovation, also offen zu sein für Veränderung, kann Unternehmen aus der Krise retten. Fuji-Color ist dafür ein gutes Beispiel, denn im Jahr 2011 machte Fuji nur noch knapp 20 Prozent des Umsatzes mit typischen Fotomaterialien. Das meiste Geschäft war weggebrochen und das Management stand vor der Frage: Wie soll es weitergehen? Letztlich besann man sich auf die eigene Expertise, beschäftigte sich insbesondere mit lichtempfindlichen Materialien und entwickelte dann eine Kosmetiklinie, die die Marke Fuji gerettet hat. 

Im Veränderungsprozess ist Digitalisierung Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck. Heute kann man im Wohnzimmer sitzen und live eine Oper schauen, Nachrichten aus aller Welt empfangen und das Frühstück von Freundinnen und Freunden liken. Jede dritte Ehe beginnt heute im Internet. Neue, spannende Finanzunternehmen kommen an den Markt. Kühne hat sich kürzlich die Trading-App Trade Republic heruntergeladen und ist innerhalb von wenigen Minuten ins Aktiengeschäft eingestiegen, obwohl sie sich vorher nicht auskannte. „Da war das Erlebnis bei der Eröffnung meines Girokontos in der Sparkasse nicht mal halb so gut.“

Unternehmen müssen sich am Kundinnen und Kunden-Nutzen ausrichten und ganz simple Fragen stellen: Was ist eigentlich Sinn und Zweck unseres Tuns? Mit welchen Werten sollen wir zusammenarbeiten? Und wie sehen unsere Mittel aus?

Geschäftsmodelle verändern sich, Trends werden immer schnelllebiger. Da hilft nur die Konzentration auf die Grundbedürfnisse des Menschen. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, das ist der Knackpunkt. „Dann muss man sich über die Zukunft keine Sorgen machen. Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.“

 

 

Fränzi Kühne ist Unternehmerin und Expertin für New Work, Digital Leadership und Unternehmensorganisation.

Sie begleitet Unternehmen auf dem Weg in die digitale Zukunft. Ursprünglich studiert Fränzi Kühne Jura, um Kriminalpolizistin zu werden. Doch aus der Zusammenarbeit mit zwei Freunden wächst schnell ein eigenes Unternehmen: TLGG (Torben, Lucie und die gelbe Gefahr), die erste Social-Media-Agentur Deutschlands. Von 2008 bis 2019 ist sie für die Agentur tätig. Fränzi Kühne hat es sich zur Aufgabe gemacht, Unternehmen nach außen ebenso wie intern dabei zu unterstützen, strategische Kommunikation an neue Technologien anzupassen. Sie ist Aufsichtsratsmitglied bei der Freenet AG. Als Stiftungsrätin der AllBright Stiftung ist sie zudem als Advokatin für Diversität in Unternehmen engagiert und publiziert regelmäßig Fachbeiträge.

Zitat

»DIE GESELLSCHAFT MUSS LUST AUF VERÄNDERUNG HABEN.«

Im Gespräch

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Zukunft hören?

Zukunft ist für mich ein absolut positiver Begriff. Zukunft heißt für mich, einen Weg zu gehen, und das wiederum heißt: kein Stillstand. Darin steckt eine Ungewissheit, die ich aber nicht als negativ empfinde.

Wie wird sich Ihr Leben in zehn Jahren verändert haben?

Aus persönlicher Sicht kann man das nicht vorhersehen, weil viel zu viel um uns herum passiert. Wir müssen vor allem Chancen wahrnehmen. Aus gesellschaftlicher Sicht wird es Technologien geben, die wir uns heute nicht vorstellen können. Geschwindigkeit wird gleichzeitig unterschätzt und überschätzt. In den Sechzigerjahren konnten wir uns selbstfahrende Autos vorstellen, aber nicht, dass Papa im Auto nicht mehr raucht. Deswegen ist Zukunft so widersprüchlich.

In welchen Bereichen wird Technologie eine Rolle spielen?

Ich glaube, dass sich die Welt komplett digitalisieren wird. Dass es keinen Bruch mehr zwischen der digitalen und der analogen Welt gibt, ist etwas, das ich mir wünschen würde. Ich will keine Begrenzungen mehr haben. Wenn in meiner Umwelt digital und analog zusammengehen, suche ich mir immer den Weg aus. Ist es z.B. gut, einen Termin digital durchzuführen, oder will ich Menschen treffen? Das hat für mich viel mit Freiheit zu tun. Global betrachtet gibt es diverse Technologieszenarien. Eines davon könnte eine Europäisierung sein, d.h., dass wir in Europa eigene relevante Technologien entwickeln und zum Technologieraum werden. Das wäre meiner Meinung nach total positiv: wertebasiert und mit Green Tech verbunden. Eine Entwicklung in diese Richtung ist jedoch unwahrscheinlich. Dafür müsste sehr viel Wandel in der Gesellschaft passieren.

Wie könnte ein erster Schritt aussehen, um so einen Wandel anzustoßen?

Die Gesellschaft muss Lust auf Veränderung haben. Vieles, das mit Veränderung zu tun hat, wird sehr negativ betrachtet. Kinder sollen heute keine technischen Geräte mitbringen, weil Pädagogen und Pädagoginnen nicht ausgebildet sind, diese in ihren Unterricht zu integrieren. Technologie und Daten dürfen nicht mehr als Feindbild dargestellt werden. Da müssen wir anfangen: bei der Ausbildung von Menschen, um ein Mindset zu fördern, das Wandel positiv gegenübersteht.

Welche Frage sollten wir uns stellen, wenn wir über Zukunft nachdenken?

Wir müssen uns keine Fragen mehr stellen. Wir müssen den Fokus auf Nachhaltigkeit legen, damit wir überhaupt noch in zehn Jahren über etwas nachdenken können, das mit Digitalisierung zu tun hat. Nachhaltigkeit muss ins Zentrum aller Entscheidungen gerückt werden – nicht nur von der Politik, sondern auch von dem einzelnen Menschen. Ich glaube, dass ein ganz großer Schritt getan wäre, wenn jeder und jede Einzelne bei sich anfängt, sich bildet und dementsprechend handelt. Das ist das Einzige, was absolute Priorität haben muss, und da wünsche ich mir viel mehr Verständnis und ein Wachrütteln dafür, dass es einfach fünf nach zwölf ist.

 

 

Veränderung

Nicht in jedem Menschen löst der Begriff Veränderung Freudensprünge aus. Veränderung verknüpfen wir häufig mit Anstrengung oder Unsicherheit. Manchmal macht uns die Vorstellung von Veränderung sogar Angst. Wie wir auf Veränderung reagieren, ist nicht selten eine Frage der inneren Einstellung. Warum also nicht unsere Einstellung verändern und überlegen, wie wir auf eine Veränderung reagieren würden? Wenn wir uns mit der Vorstellung einer wünschenswerten Zukunft beschäftigen, lohnt es sich, zusätzlich darüber nachzudenken, wie wir eine positive Veränderung anstoßen könnten. Imaginieren Sie doch mal. Und? Ist die Vorstellung, etwas verändert zu haben, nicht doch ganz schön?