„Es sind die Krisen, die uns voranbringen.“ Das ist die zentrale Botschaft von Matthias Horx, dem Gründer des Zukunftsinstituts, der mit seinen Büchern und Studien als bekanntester und einflussreichster Zukunftsforscher im europäischen Raum gilt. In seinem jüngsten Buch und seinen Vorträgen beschäftigt er sich intensiv mit der Frage, wie die Gesellschaft und Wirtschaft nach Corona aussehen werden. Seine Analysen lassen einen hoffen.
Corona ist ein wesentlicher Treiber für einen fundamentalen Wandel hin zu einer nachhaltigeren Welt. Der „Big Business Change“ ist in vollem Gange. Die großen Unternehmen orientieren sich auf radikale Weise neu. Weil sie es müssen. Die alte Steigerungslogik, nach der bestehende Systeme immer mehr auf Effizienz getrimmt wurden, funktioniere nicht mehr. Es mag zwar sehr effizient sein, die Lieferketten rund um den Globus zu spannen und überall nach dem billigsten Anbieter zu suchen. Doch die kleinste Friktion, wie im Jahr 2021 der havarierte Tanker im Suez-Kanal bringt das gesamte System in Bedrängnis. Wenn eine fundamentale Krise wie Corona kommt, droht der Kollaps.
Organisationen brauchen daher eine größere Resilienz. Damit werden sich Wertschöpfungslogiken umdrehen. Das Lokale wird wichtiger. Die alte Outsourcing-Logik wird vom Nearshoring eingeholt. Die Globalisierung hört nicht auf, aber sie formt sich neu. Horx beschreibt diesen Systemwandel als Glokalisierung, also eine Synthese von globalen und lokalen Strukturen. Es geht in Zukunft um eine stärkere regionale Autonomie. Auch die Chipproduktion werde wieder nach Europa zurückkehren. „Die Logik von Trends in Richtung Zukunft ist nicht linear“, so Horx.
Er sieht eine Erschütterung in jedem Business-Modell. Das alte Prinzip der Maximierung stößt an seine Grenzen. Beispiel Textilindustrie: Es wird immer mehr produziert, immer mehr verramscht und immer mehr weggeschmissen. Das „Immer-Mehr-Prinzip“ führt in eine Sackgasse. In Zukunft geht es darum, vom „Mehr“ zum „Besser“ zu kommen. Und es gibt erste Firmen, die ihre Geschäftsmodelle ändern. Horx selbst trägt eine Leasing-Jeans, für die er eine monatliche Gebühr zahlt. Wenn sie verschlissen ist, wird sie zurückgeschickt und zu einer neuen Jeans verarbeitet.
Egal, um welche Industrie es geht: Die Branchenführer schlagen mittlerweile einen anderen Ton an. Es geht nicht mehr um Fun, Maximierung, Beschleunigung, sondern um Verantwortung und Nachhaltigkeit. Levis will die Jeans neu erfinden, Ikea künftig Miet-Möbel anbieten und selbst die großen Mineralölkonzerne machen ein sogenanntes „Carbon Commitment“ – also ein Versprechen, wann sie klimaneutral wirtschaften wollen. Es ist verständlich, dass viele hinter solchen Aktivitäten Greenwashing vermuten. Doch Horx sieht einen Tipping Point gekommen. Firmen, die sich öffentlich auf konkrete Reduktionszahlen und Daten festlegen, werden in die Pflicht genommen. Es gibt dann keinen Weg zurück mehr.
Horx sieht ein neues ökologisches Zeitalter anbrechen. Er bezeichnet dies als „Blaue Revolution“ in Abgrenzung zum traditionellen Öko-Denken, das von Verzicht geprägt ist. Doch das Prinzip der Natur ist nicht das der Knappheit. Ein Kirschbaum habe viel mehr Blüten als notwendig. Doch dieser Überfluss geht nicht zulasten anderer Organismen. Wir sollten daher von der Natur lernen und stärker in Verbindungen und Vernetzungen denken. Damit bekommt die Ethik eine viel größere Rolle in der Zukunft des Business.
Wir haben jetzt die große Chance, Systeme zu verbessern. Handlungsbedarf sieht Horx auch bei der Digitalisierung. In der Pionierphase der letzten 25 Jahre sei sie oftmals ein Raubtier gewesen, das jetzt gezähmt werden müsse. Für die vielen Hate- und Fake-News in den zuweilen unsozialen Medien brauche es andere Regularien und vor allem eine neue Haltung. „Die Frage der balancierten Digitalisierung ist noch nicht erkannt“, so Horx. Er nennt diese Entwicklung „Human-Digital“ und geht davon aus, dass sie kommen wird. Die jetzige Krise hilft dabei.
Zum ersten Mal haben wir gemerkt: Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir irgendwann nicht mehr weitermachen. Das ist eine heilsame Botschaft. Wenn wir die Krisen annehmen, dann können sie uns positiv verwandeln. Dann führen sie dazu, dass wir uns adaptiv der Umwelt zuwenden. Horx geht daher davon aus, dass die Wirtschaft in den nächsten Jahren ganz neue Start-ups und Innovationsformen hervorbringen wird. Auch für die Sparkassen sieht er ein großes Innovationspotenzial. Denn diese sind mit ihrer vernetzten Struktur viel näher dran an den Menschen als die Großbanken.