Lars P. Feld

Die wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen einer Welt im Wandel

»Wir haben eine fundamentale Unsicherheit.«

Im Fokus

Die wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen einer Welt im Wandel

Die drei Megatrends Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung sind herausfordernd. Aber das schwierigste Feld werden internationale Wirtschaftsbeziehungen sein.

 

„Wo stehen wir in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Inflation?“, fragt Lars Feld. Feld rangiert unter den Top-5-Ökonomen der Republik. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Zuvor war der Saarländer zehn Jahre lang Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, besser bekannt als „Wirtschaftsweise“.

 

Zur Bestandsaufnahme blickt Feld auf die Prognose des Sachverständigenrates. Im März gingen noch fast alle Prognostiker davon aus, dass im ersten Quartal 2022 das Vor-Corona-Niveau erreicht sein würde. Dann wäre die Wirtschaft konjunkturell aus dem Tal heraus. Allerdings hat sich die Wachstumserwartung seit September eingetrübt. Die verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstitute gehen jetzt nur noch von 2,2 Prozent bis 2,6 Prozent Wachstum für dieses Jahr aus. Interessant ist, dass alle Prognostiker den Knick durch ein höheres erwartetes Wachstum im Folgejahr kompensieren. Konjunkturprognosen sind immer auch von der Nachfrageseite getrieben. Diese Nachfrage präsentiert sich tatsächlich als ungebrochen stark. Die Auftragsbücher sind voll. Das Problem sind die Lieferketten, sodass Aufträge nicht ohne Weiteres abgearbeitet werden können.

 

Das bringt Feld zum zweiten Thema seiner Bestandsaufnahme. Was passiert bei Inflation und Renditen? Wir sehen bei Rohstoffen sowie Vor- und Zwischenprodukten kräftige Preissteigerungen, ebenso bei Nahrungsmitteln. Allerdings ist Inflation nicht einfach die Summe der Preisentwicklungen. Eine gewichtige Rolle spielen das monetäre Umfeld und die Inflationserwartungen. Für die Notenbanken ist die Inflation ein vorübergehendes Phänomen. Deshalb fährt die EZB weiterhin ihren Kurs der lockeren Geldpolitik. Und gerät zunehmend in ein Dilemma: Entweder sorgt sie mit Zinssteigerungen dafür, dass sich die Inflation nicht so schnell auswirkt, dann könnten hochverschuldete Euro-Länder in ernste Schwierigkeiten geraten, oder sie lässt mehr Inflation zu. Dieses Dilemma kann die EZB nur auflösen, wenn sie auf regulatorischer Seite dafür sorgt, dass die Kreditvergabe der Kreditinstitute nicht zu stark, nicht zu dynamisch wird – also mit Formen der finanziellen Repression. Ein Umfeld, das auch für die Sparkassen-Finanzgruppe kein einfaches sein dürfte.

 

Die drei Megatrends Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung sind bekanntlich herausfordernd. Die Demografie hat zweierlei Effekte: Die Sozialsysteme geraten unter Druck, wenn ab 2025 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Und sie sorgt für weniger Wachstum und damit weniger Einnahmen für die öffentlichen Finanzen. Ab 2030 müssten eigentlich weitere Korrekturen anstehen wie etwa die Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters. Feld ertappt die Politik beim Versuch sich reichzurechnen, beispielsweise durch utopische Zuwanderungszahlen. Dabei bräuchte es pro Jahr 1,5 bis 2 Millionen Zuwanderer, die so gut ausgebildet sein müssten, dass sie die Durchschnittsproduktivität der Einheimischen mitbringen. 

 

Die Hoffnung liegt auf der Digitalisierung, die diese Entwicklung kompensieren soll. Beim Thema Investitionen sieht Feld Deutschland besser positioniert, als man das in öffentlichen Diskussionen wahrnehme, Beispiel Biontech. Im Bereich KI falle Deutschland allerdings zurück.

 

Realistisch gesehen lasse sich der Klimawandel nicht verhindern, höchstens eindämmen. Feld hält deutlich höhere CO2-Preise für nötig, für untere und niedrigere Einkommen müsse es eine Kompensation geben. Die wichtigste Säule im Kampf gegen den Klimawandel seien aber internationale Vereinbarungen. Ohne China, ohne Indien werden wir zu keinem Ergebnis kommen. Die Außenpolitik wird vor großen Herausforderungen stehen und dabei zum wichtigsten Player werden.

 

 

 

 

Prof. Dr. Lars P. Feld hat seit 2010 den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inne

und ist Direktor des Walter Eucken Instituts. Von 2011 bis 2021 ist er einer der Wirtschaftsweisen und von 2020 bis 2021 deren Vorsitzender. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wirtschaftspolitik, Finanzwissenschaft, Neue Politische Ökonomie und Ökonomische Analyse des Rechts. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes wird Lars P. Feld 1999 an der Universität St. Gallen promoviert und habilitiert sich dort im Jahr 2002. Es folgen Professuren an der Philipps-Universität Marburg und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Lars P. Feld ist ständiger Gastprofessor am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim sowie Mitglied der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften), des Kronberger Kreises und der Mont Pèlerin Society.

Zitat

»VERTRAUEN SCHAFFT VERMÖGEN.«

Im Gespräch

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Zukunft hören?

Mein erster Impuls ist, aus einer Fachperspektive zu antworten. Als Wirtschaftsforscher beschäftige ich mich mit Zukunft in prognostischer Weise, z.B. mit der Wirtschaftsentwicklung in jüngerer Zukunft: Mit welcher Inflation müssen wir in den nächsten ein bis zwei Jahren rechnen? Wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt aus? Mittelfristige Prognosen können makroökonomische Schätzungen zum Produktionspotenzial abbilden und in der längeren Frist geht es dann nur noch um Prognosen zu Entwicklungen der Demografie und der finanzpolitischen Auswirkungen. Das ist sehr methodisch orientiert. Im privaten Kontext dominieren für mich bei der Frage nach Zukunft meine Entwicklungsmöglichkeiten, also: Wie will ich in den nächsten Jahren leben? Was will meine Familie? Welche Schwerpunkte sollen gesetzt werden? Wenn ich privat gefragt werde, kümmern mich das Bruttoinlandsprodukt, das Produktionspotenzial und die Demografie eigentlich nicht mehr. 

 

Was könnte sich in zehn Jahren verändert haben?

Was wir als großen Trend sehen, ist die demografische Entwicklung, die unsere Gesellschaft verändern wird. Der größere Anteil älterer Menschen wird sich auf Sozialversicherungen, das Arbeitskräfteangebot und die Technisierung im Pflegebereich auswirken. Der zweite große Trend ist das Thema Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität. Im Zuge der Digitalisierung, des dritten Trends, werden wir deutlich mehr Veränderung verspüren. Diese drei Trends sind schon vorgezeichnet. Darauf kann man sich verlassen. Alles andere ist Spekulation.

 

Welche Rolle spielt das Sich-auf-etwas-verlassen-können, wenn wir über Zukunft sprechen?

Ich bin sehr vorsichtig mit einer Vorhersage dafür, was in zehn Jahren sein wird. Vor zehn Jahren konnten wir unsere heutige Gegenwart nicht vorhersehen. Man kann sagen: Der Trend hält an, insofern kann man sich darauf verlassen. Doch selbst so große Trends beschreiben nur einen Wahrscheinlichkeitsraum, für den wir gewisse Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmen können. Bei anderen Themen können wir das nicht. Uns fehlt die Möglichkeit, Risiko und Chance genau abzuwägen, und wir haben eher eine fundamentale Unsicherheit.

 

Wie können wir mit dieser Unsicherheit umgehen?

In einer Welt, in der wir viel mit Unsicherheit konfrontiert sind, ist Vertrauen essenziell. Schauen wir auf die Wirtschaft, schafft Vertrauen Vermögen. Vertragsbeziehungen können leichter und mit geringeren Kosten gestaltet werden. Das Menschliche bleibt ein wichtiger Bestandteil von Interaktionen, die beispielsweise in der Finanzwelt zunehmend digital und automatisiert stattfinden. Eine Bank kann in so einer Welt mit ihrer Reputation und dem Vertrauen arbeiten, das sie in den letzten Jahren aufgebaut hat. Außerdem müssen wir uns angesichts der Sequenz der Krisenphänomene der letzten 20 Jahre immer fragen, ob wir auf potenzielle Krisen, deren Ursprung wir noch nicht kennen, gut genug vorbereitet sind. Die Frage lautet: Sind wir widerstandsfähig genug? Unsere Zukunftsaufgabe ist, mit dieser Unsicherheit umzugehen.

 

 

 

Im Kopf

Unsicherheit

Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht – beunruhigt Sie das? Zugegeben: Es ist nicht einfach, mit Unsicherheit zu planen. Wir nehmen Prognosen dankbar an, weil diese Sicherheit suggerieren. Einige Prognosen treten ein und aus zukunftsforschender Sicht ist das eine wichtige Erkenntnis: So oft wir auch falsch liegen – oft treffen wir mit unseren Vorhersagen auch ins Schwarze. Tatsache ist, dass wir lernen müssen, mit Unsicherheit zu leben. Fragen Sie sich doch mal: Wenn (m)eine Prognose nicht eintritt – was könnte stattdessen passieren? Diese Gedankenspiele sind besonders im Umgang mit potenziellen Krisen hilfreich, denn sie schulen unsere Antifragilität, also die bewusste gedankliche Auseinandersetzung mit möglichen Bedrohungen. Eine unsichere Zukunft bedeutet übrigens nicht automatisch eine nahende Krise. Denken Sie zurück: Ist es nicht ganz schön, sich hin und wieder überraschen zu lassen?