Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Zukunft hören?
Es wird immer so getan, als ob sich das grundsätzliche Leben verändert. Wenn wir uns über die Zukunft unterhalten, würde ich mich weniger gerne darüber unterhalten, ob die Menschen sich insgesamt verändern, sondern mehr über die Frage: Wie verändern sich Methoden, um mit gleichbleibenden Bedürfnissen umzugehen?
Welche neuen Bedürfnisse oder Fragen treiben Sie in zehn Jahren um?
Je mehr uns die Technik und die Systeme abnehmen, desto mehr Zeit habe ich. Vor Corona bin ich 60.000 km im Auto unterwegs gewesen – etwa 800 Stunden im Jahr. Wenn nur die Hälfte davon jetzt per Video stattfindet, führt dass dazu, dass eine Unmenge an Zeit zur Verfügung steht. Das ist für mich persönlich die nächste Herausforderung der Zukunft: Wir sehen heute eine zunehmende Fülle an Möglichkeiten. Ich glaube, dass die Menschen mit dieser zunehmenden Fülle auch zunehmend vereinsamen. Statt ins Kino zu gehen, kann ich einen Film streamen. Statt ins Restaurant zu gehen, kann ich Essen bestellen. Wenn ich Menschen über eine Dating-App kennenlerne, lernt man sich digital kennen. Beim realen Treffen geht dann vieles schneller als früher, weil man sich ja schon kennt. Aber man sieht im Digitalen vielleicht auch, dass und wie oft man abgelehnt wurde. Eigentlich ist das ein Paradoxon: Man hat viel mehr Möglichkeiten und trotzdem vereinsamt man, weil diese gigantische Menge an Informationen viele überfordert. Und: Bei Großveranstaltungen wie Helene Fischer explodiert dann alles, weil Menschen eine völlig überbordende Erwartungshaltung an das Event stellen.
Wie können wir auf diese Herausforderungen reagieren?
Drei Gruppierungen müssen sich neu formieren: Erstens brauchen wir ein deutlich seriöseres und noch stärker faktenbasiertes politisches System. Die zweite Gruppe sind die Medien: Der Fokus auf Klicks und Likes führt automatisch zu einer kurzfristigen Sicht. Man jagt kleinen Trends hinterher, um nicht zu verpassen, wenn sie groß werden. Ich erwarte auch von den großen Medien eine deutlich seriösere Positionierung. Was die Leute bei diesen beiden Gruppen suchen, ist also sowohl politischer als auch kommunikativer Halt, der nicht über Angst und Bedrohung getrieben wird, sondern über positive Visionen. Die dritte Gruppe sind die Personen, die auch wir repräsentieren: Das sind die Unternehmerinnen und Unternehmer, die auf Basis der vorher genannten Variablen hinterfragen sollten, ob sie bestimmte Dinge nicht aufgrund eines Trends unbedingt machen wollen. Wir brauchen auf Unternehmerseite ein gewisses Maß an Bereitschaft, die Dinge langfristiger zu sehen. Es ist wichtig, ein Verständnis dafür zu haben, dass Dinge, wenn sie angeschoben werden, sehr zeitaufwändig sind. Diese drei Gruppierungen können den Weg nach vorne bereiten und die Dinge vorantreiben – das ist meine Hoffnung.
Welche Aufgaben kommen auf die Banken in einer Welt der Verunsicherung zu?
In der Gesamtheit sind die Menschen klüger und abwägender, als so mancher das letztendlich wahrhaben will. Auch zukünftig wird die Hauptaufgabe der Banken sein, diejenigen aktiv und seriös zu unterstützen, die sich Informationen wünschen. Sie sollten sich auf die Fahnen schreiben, dass sie sich genau bei den Menschen emotional positionieren, die einen Coach benötigen – und auch wollen. Coaching ist eine zwischenmenschliche Angelegenheit. Die Banken kappen sich die Touch Points zum gewöhnlichen Kunden, ohne gleichzeitig den emotionalen digitalen Bereich aufzubauen. Es braucht eine emotionale Customer Journey.
Was sollten wir in puncto Zukunft noch bedenken?
Ich spreche viel, schnell, komplex und ineinandergreifend, aber die Welt besteht eben nicht aus BILD-Zeitungsüberschriften. Die Welt ist komplexer. Was uns in Deutschland fehlt, ist eine Art Think Tank fürs normale Leben. Kein Think Tank darüber, wie die Welt in zehn Jahren mit E-Autos läuft, sondern darüber, wie es in zehn Jahren in Berlin-Neukölln aussieht. Wie werden die Menschen im Dortmunder Norden leben? Wie werden alte Menschen zukünftig wohnen? Vielleicht wäre es wichtig, dass wir reale Gruppierungen bilden, die sich mit dem Tagesgeschäft der Menschen beschäftigen und nicht mit der Frage, wie die Welt in 50 Jahren aussieht. Die Menschen interessieren 50 Jahre nicht. Sie interessieren maximal 50 Tage.